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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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dich sehen kann.
    Kevin rührt sich nicht.
    Ach, komm schon, Kevin. Nimm die Kapuze ab.
    Kevin schüttelt den Kopf. Der Kopf bewegt sich, aber die Kapuze bleibt oben.
    Okay, du gehst mit Mr. McCourt mit und versuchst, dich am Unterricht zu beteiligen.
    Der Beratungslehrer flüstert mir zu, vielleicht identifiziert er sich ja ein bißchen mit Ihnen.
    Er identifiziert sich mit nichts. Er sitzt an seinem Tisch, trommelt mit den Fingern, versteckt sich in seiner Kapuze. Der Rektor steckt auf seinen Rundgängen den Kopf durch die Tür und sagt, Junge, tu die Kapuze runter. Kevin ignoriert ihn. Der Rektor wendet sich mir zu. Haben wir ein kleines Problem mit der Disziplin?
    Das ist Kevin Dunne.
    Ach so. Er zieht sich zurück.
    Ich stehe vor einem Rätsel. Wenn ich ihn gegenüber anderen Lehrern erwähne, verdrehen sie die Augen und sagen, die hoffnungslosen Fälle bleiben oft an den neuen Lehrern hängen. Der Beratungslehrer sagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Kevin ist lästig, aber er ist gestört und wird nicht mehr lange bleiben. Nur Geduld.
    Am nächsten Tag, kurz vor Mittag, bittet er um den Paß. Er fragt, warum geben Sie mir den Paß einfach so? Wieso? Sie wollen mich loswerden, stimmt’s?

    Du hast den Paß verlangt. Hier ist er. Jetzt geh schon.
    Warum sagen Sie mir, ich soll gehen?
    Das ist nur eine Redewendung.
    Das ist unfair. Ich hab nichts getan. Ich kann Leute nicht leiden, die Geh zu mir sagen, als ob ich ein Hund wär oder so was.
    Ich wünschte, ich könnte ihn auf die Seite nehmen und mit ihm reden, aber ich weiß, das ist nicht meine Stärke. Es ist einfacher, zur ganzen Klasse zu sprechen als zu einem einzelnen Jungen. Es ist nicht so intim.
    Er verwirrt die Klasse mit abwegigen Bemerkungen: Das Englische hat mehr unanständige Wörter als jede andere Sprache. Wenn du den rechten Schuh am linken Fuß und den linken Schuh am rechten Fuß trägst, arbeitet dein Gehirn besser, und alle deine Kinder werden Zwillinge sein. Gott hat eine Feder, die nie Tinte braucht. Babys wissen schon alles, wenn sie auf die Welt kommen. Deswegen können sie nicht sprechen, weil sonst wären wir alle dumm.
    Er sagt, wenn man Bohnen ißt, muß man furzen, und es ist ratsam, kleine Kinder damit zu füttern, weil die Bohnenzüchter Hunde darauf abrichten, kleine Kinder aufzuspüren, falls sie verlorengehen oder entführt werden. Er weiß aus sicherer Quelle, daß reiche Familien ihren Kindern viel Bohnen zu essen geben, weil reiche Kinder oft Opfer einer Entführung werden, und wenn er mit der High School fertig ist, macht er sich selbständig und richtet Hunde ab, die kleine reiche Bohnenesser anhand ihrer Fürze aufspüren, und dann kommt er in alle Zeitungen und überall im Fernsehen und ob er jetzt den Paß haben könne.
    Am Elternsprechtag erscheint seine Mutter in der Schule. Sie kommt nicht zu Rande mit ihm, weiß nicht, was mit ihm los ist. Sein Vater, der Schuft, ist abgehauen, als Kevin vier war, und lebt jetzt in Scranton, Pennsylvania, mit einer Frau, die weiße Mäuse für Laborversuche züchtet. Kevin liebt die weißen Mäuse, haßt aber seine Stiefmutter dafür, daß sie die Tiere an Leute
verkauft, die Sachen in sie hineinstecken oder sie aufschneiden, bloß um zu sehen, ob sie zugenommen oder abgenommen haben. Als er zehn war, hat er gedroht, seiner Stiefmutter etwas anzutun, und man mußte die Polizei holen. Jetzt möchte seine Mutter wissen, wie er sich in meiner Klasse macht. Ob er irgend etwas lernt. Ob ich Hausaufgaben aufgebe. Er bringt nämlich nie ein Buch, ein Heft oder einen Stift mit nach Hause.
    Ich sage ihr, er sei ein heller Junge mit einer lebhaften Phantasie. Sie sagt, ja, schön für Sie, einen hellen Jungen in der Klasse zu haben, aber wie sieht seine Zukunft aus? Sie macht sich Sorgen, er könnte in der Army landen und nach Vietnam geschickt werden, wo er mit seinem roten Haarschopf ein tolles Ziel für den Vietcong abgeben wird. Ich glaube nicht, sage ich, daß sie ihn in der Army nehmen würden, und sie wirkt gekränkt. Sie fragt, was wollen Sie damit sagen? Er ist genauso gut wie jedes andere Kind an dieser Schule. Sein Vater war ein Jahr auf dem College, wissen Sie, und er hat Zeitungen gelesen.
    Ich wollte nur sagen, daß er für mich nicht der Militärtyp ist.
    Mein Kevin kann alles. Mein Kevin ist genauso gut wie jedes andere Kind an der Schule, an Ihrer Stelle würde ich ihn nicht unterschätzen.
    Ich versuche mit ihm zu reden, aber er ignoriert mich oder tut so, als höre er

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