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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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hab nur mit seiner Mutter gesprochen und mir gedacht, sie und ihr Mann würden mal mit ihm reden und ihm sagen, er soll sich in der Schule besser betragen. Dafür ist es zu spät. Ich habe sie hintergangen, und damit steht fest, daß ich nicht in der Lage bin, allein mit der Situation fertigzuwerden. Lehrer, die einen ins Rektorat schicken oder die Eltern anrufen, sind das Hinterletzte. Wenn man nicht allein klarkommt, sollte man gar kein Lehrer sein. Dann sollte man sich eine Arbeit als Straßenkehrer oder Müllmann suchen.
     
    Sal Battaglia lächelte jeden Morgen und sagte, hi, Mister McCourt. Sal saß neben seiner Freundin Louise und sah glücklich
aus. Wenn sie sich über den Gang hinweg an den Händen hielten, machten die anderen einen Umweg, denn alle wußten, daß es zwischen den beiden was Ernstes war. Eines Tages würden Sal und Louise heiraten, das war sakrosankt.
    Sals italienische Familie und Louises irische Familie waren nicht einverstanden, aber sie würden immerhin katholisch heiraten, und das war in Ordnung. Sal scherzte vor der Klasse, seine Eltern machten sich Sorgen, mit einer irischen Frau könnte er verhungern, weil die Irinnen doch nicht kochen können. Er sagte, seine Mutter könne sich nicht erklären, wie die Iren sich überhaupt am Leben halten. Louise meinte, man könne sagen, was man wolle, aber die Iren hätten die schönsten Babys auf der ganzen Welt. Sal wurde rot. Ein lässiger Italiener, fast achtzehn, mit dichten schwarzen Locken, und er wurde tatsächlich rot. Louise lachte, und wir lachten alle, als sie den Arm über den Gang hinweg ausstreckte und mit ihrer zarten weißen Hand seine rote Wange berührte.
    Es wurde still im Raum, als Sal ihre Hand nahm und sie an sein Gesicht drückte. In seinen Augen glitzerten Tränen. Was war über ihn gekommen? Ich stand mit dem Rücken zur Tafel und wußte nicht, was ich sagen oder tun sollte, weil ich den Bann nicht brechen wollte. Wie hätte ich in einem solchen Augenblick mit unserer Besprechung von Der scharlachrote Buchstabe fortfahren können?
    Ich trat hinter mein Pult, tat beschäftigt, überprüfte wortlos noch einmal die Präsenzliste, füllte ein Formular aus, wartete darauf, daß in zehn Minuten die Glocke läuten würde, sah zu, wie Sal und Louise hinausgingen, Hand in Hand, und beneidete sie darum, daß für sie alles klar war. Nach dem Abschluß würden sie sich verloben. Sal würde Klempnermeister werden, Louise Gerichtsstenographin, das Höchste, was man im Sekretärinnenfach erreichen kann, es sei denn, man setzte sich in den Kopf, Anwältin zu werden. Ich sagte Louise, sie sei intelligent genug für jeden Beruf, aber sie meinte, nein, nein, was würden
dann ihre Eltern sagen? Sie müsse ihr Geld verdienen, sich auf ihr Leben mit Sal vorbereiten. Sie würde italienisch kochen lernen, um Gnade vor den Augen von Sals Mutter zu finden. Ein Jahr nach der Hochzeit würde ein Baby kommen, ein kleines pummeliges wohlgenährtes italienisch-irisch-amerikanisches Baby, das würde die beiden Familien für immer zusammenbringen, und keiner würde mehr danach fragen, aus welchem Land ihre Eltern stammten.
    Nichts davon wurde Wirklichkeit, und zwar wegen eines halbwüchsigen Iren, der in einer Bandenschlägerei im Prospect Park auf Sal losging und ihm ein Kantholz über den Schädel zog. Sal gehörte zu keiner der Gangs. Er kam nur zufällig vorbei, weil er eine Bestellung für das Restaurant ausliefern mußte, in dem er abends und an den Wochenenden arbeitete. Er und Louise fanden diese Bandenkriege idiotisch, vor allem zwischen Iren und Italienern, die ja alle katholisch und weiß waren. Also warum? Worum ging es überhaupt? Um so was wie Revieransprüche oder, schlimmer noch, um Mädchen. He, nimm deine dreckigen Itakerpfoten von meiner Freundin. Schaff deinen dicken Irenarsch aus dem Viertel. Sal und Louise verstanden, daß es zu Handgreiflichkeiten mit den Puertoricanern oder den Schwarzen kam, aber doch nicht untereinander, um Himmels willen.
    Als Sal wieder in die Schule kam, trug er einen Verband, der die Wundnähte verbarg. Er steuerte sofort auf die rechte Seite hinüber, weit weg von Louise. Er ignorierte die Klasse, und niemand schaute ihn an oder sprach mit ihm. Louise setzte sich auf ihren gewohnten Platz und versuchte seinen Blick aufzufangen. Sie sah ratlos zu mir her, als könnte ich alles richten. Ich kam mir unzulänglich vor, und ich war unschlüssig. Sollte ich zu ihr hingehen, ihr die Schulter drücken und ihr

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