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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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ständig auf die Uhr. Niedergeschlagen ging ich zur U-Bahn und machte mir Vorwürfe, weil es mir nicht gelungen war, irgendwie an sie heranzukommen. Vier Frauen aus dem Kurs standen auf dem Bahnsteig. Sie lächelten und wollten wissen, ob ich in Manhattan wohnte.
    Nein. Nein, in Brooklyn, zwei Stationen.
    Dann fiel mir nichts mehr ein. Kein Geplauder, keine Scherze vom Herrn Professor.
    Vivian sagte, danke für die Note, Mr. McCourt. Das ist mein bester Abschluß in Englisch bisher, und Sie sind ein ziemlich guter Lehrer, wissen Sie.
    Die anderen nickten und lächelten, und es war klar, daß sie nur nett sein wollten. Als der Zug einfuhr, sagten sie, bis bald, und eilten den Bahnsteig entlang.
     
    Meine Karriere als College-Dozent endete nach einem Jahr. Der Fachbereichsleiter sagte, obwohl es heftiges Gerangel um meine Stelle gebe und sogar promovierte Bewerber, werde er die Vorschriften großzügig auslegen, aber wenn ich bleiben wolle, müsse ich Beweise dafür vorlegen, daß ich eine Promotion anstrebe. Ich sagte ihm, ich strebte gar nichts an.
    Dann tut’s mir leid, sagte der Fachbereichsleiter.

    Schon gut, sagte ich, und ging wieder auf die Suche nach einer Anstellung als High-School-Lehrer.
    Alberta meinte, ich würde es nie zu etwas bringen, und ich beglückwünschte sie zu ihrem Scharfsinn. Sie sagte, den Sarkasmus kannst du dir sparen. Wir sind jetzt sechs Jahre verheiratet, und du wanderst bloß ziellos von einer Schule zur anderen. Wenn du dir nicht bald was Festes suchst, bist du eines Tages vierzig und fragst dich, wo dein Leben geblieben ist. Sie verwies auf alle möglichen Leute in unserer Umgebung, die glücklich verheiratet, leistungsfähig, seßhaft und zufrieden waren, Kinder hatten, reife Beziehungen aufbauten, in die Zukunft blickten, schöne Urlaubsreisen machten, in Clubs eintraten, Golf spielten, miteinander alt wurden, Verwandte besuchten, von Enkelkindern träumten, ihre Kirche unterstützten, an die Pensionierung dachten.
    Sie hatte recht, aber das konnte ich nicht zugeben. Ich hielt ihr eine Predigt über das Leben und Amerika. Ich sagte ihr, das Leben sei ein Abenteuer und vielleicht lebte ich ja im falschen Jahrhundert. Ich hätte in der Zeit des Planwagens leben müssen, als Treckführer in einem Western – John Wayne, Randolph Scott, Joel McCrea –, der mit der Peitsche knallt und Vorwärts, weiter ruft, während das Studioorchester in Wallung gerät, fünfzig Violinen vor unbändigem Prärie-Patriotismus anschwellen, reine Treck-Musik, Violinen und Banjos, die das Gejaule der Mundharmonika begrüßen, und die Männer auf den Kutschböcken der Planwagen machen Hopp, hopp, hopp oder gehen zu Fuß und führen Pferde und Ochsen, ihre Frauen sitzen oben und halten die Zügel, manche von ihnen sichtlich schwanger, und du weißt, weil du schon mal hier warst, daß sie ihre Babys mitten in einem Angriff blutrünstiger Apachen, Sioux oder Cheyenne zur Welt bringen werden. Sie bauen eine Wagenburg und wehren diese heulenden Krieger ab, die nette weiße werdende Mütter bedrohen, doch trotz allem sind die Indianer prächtig anzusehen mit ihren Federn, auf ihren Pferden,
und du weißt, daß die Indianer vertrieben werden, weil alle Weißen, Männer, Frauen und Kinder, sogar die werdenden Mütter, mit Flinte und Revolver drauflosballern, was das Zeug hält, Nudelhölzer und Bratpfannen schwingen und die lästigen Rothäute besiegen, so daß der Treck weiterziehen kann und die Weißen diesen wilden Kontinent erobern und die Ausbreitung Amerikas weder von Heuschrecken und Dürre noch von den Rocky Mountains oder j ohlenden Apachen aufgehalten wird.
    Ich sagte, das sei der Teil der amerikanischen Geschichte, der es mir angetan habe. Sie sagte, Planwagen, meine Fresse, geh lieber, und such dir eine Arbeit, und ich konterte mit einem Dylan-Thomas-Zitat, Arbeit ist Tod ohne Würde. Sie sagte, behalt deine Würde, aber zähl nicht auf mich. Es war nicht zu übersehen, daß diese Ehe keine nennenswerte Zukunft hatte.
     
    Dem Fachbereichsleiter an der Berufsschule für die Textil-und Modeindustrie war ich sichtlich unsympathisch, aber es herrschte Lehrermangel, niemand wollte an Berufsschulen unterrichten, und ich war verfügbar, samt meiner McKee-Erfahrung. Er saß hinter seinem Schreibtisch, ignorierte meine ausgestreckte Hand, stellte sich als Leiter einer dynamischen Abteilung vor und rollte die Schultern wie ein Boxer, um mir seine Energie und Entschlußkraft darzutun. Er sagte, die Schüler

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