Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
Vom Netzwerk:
nutzen? Alle Register ziehen, sozusagen.
    Weil das, was Sie machen, Freddie, falsch, gezwungen und gekünstelt ist.
    Das hätte ich nicht sagen dürfen, schon gar nicht vor den Augen und Ohren seiner dreißig Studienkollegen. Seine Miene erstarrte, und ich wußte, daß ich ihn verloren hatte. Das bedeutete ein feindseliges Element für den Rest des Semesters, eine betrübliche Aussicht für mich, denn noch fühlte ich mich alles andere als sicher in dieser Welt erwachsener Studenten.
    Er schlug mit Sprache zurück. Sein Stil wurde noch komplizierter und verkrampfter. Er fiel von A auf B minus zurück. Er bat mich, ihm diese Benotung zu erklären. Er habe seine Aufsätze seinem alten Englischlehrer gezeigt, und der habe sich nicht erklären können, warum er, Freddie, nicht jedesmal ein A plus bekommen habe. Dieser Stil! Dieser Wortschatz! Die verschiedenen Bedeutungsschichten! Und der Satzbau: abwechslungsreich, virtuos, komplex!
    Wir standen uns auf dem Gang gegenüber. Er ließ nicht locker. Er sagte, er mache sich extra die Mühe, neue Wörter
nachzuschlagen, um mich nicht mit den immer gleichen alten Vokabeln anzuöden. Sein alter Englischlehrer sage immer, es gebe nichts Schlimmeres, als Hunderte von Schulaufsätzen lesen zu müssen und dabei nie auf einen originellen Gedanken oder frisches Vokabular zu stoßen. Der alte Englischlehrer sage, Mr. McCourt sollte Freddies Bemühungen würdigen und ihn entsprechend belohnen. Freddie verdiene Anerkennung allein schon dafür, daß er sich auf neues Gebiet vorwage, die Grenzen der Sprache erweitere. Außerdem, sagte Freddie, arbeite ich nachts, um über die Runden zu kommen und mein Studium zu finanzieren. Sie wissen, was das heißt, Mr. McCourt.
    Ich sehe nicht, was das mit Ihrem Stil zu tun hat.
    Außerdem hat man’s als Schwarzer nicht leicht in dieser Gesellschaft.
    Du lieber Himmel, Freddie. In dieser Gesellschaft hat es niemand leicht. Aber gut, von mir aus. Sie wollen ein A? Sie bekommen es. Ich will mir keine Prinzipienreiterei nachsagen lassen.
    Nein, ich will es nicht, weil Sie sauer sind oder weil ich schwarz bin. Ich will es, weil ich es verdiene.
    Ich wandte mich zum Gehen. Er rief mir nach, he, Mr. McCourt, danke. Ihr Kurs gefällt mir. Er ist zwar seltsam, aber ich hab mir gedacht, ich könnte vielleicht sogar ein Lehrer wie Sie werden.
     
    Der Lehrplan schreibt eine Facharbeit vor. Der Student muß seine Fähigkeit beweisen, ein Thema auszuwählen, einfache Recherchen durchzuführen, auf Karteikarten für den Dozenten Notizen zu machen sowie wissenschaftlich korrekte Fußnoten und eine Bibliographie der primären und sekundären Quellen anzufertigen.
    Ich gehe mit meinen Studenten in die Bibliothek, damit die umgängliche, engagierte Bibliothekarin ihnen zeigt, wie man gezielt nach Informationen sucht und grundlegende Instrumente
der Recherche einsetzt. Sie hören ihr zu, schauen einander an und flüstern auf spanisch und französisch, aber als sie sich erkundigt, ob sie irgendwelche Fragen hätten, blicken sie ins Leere und bringen damit die Bibliothekarin in Verlegenheit, die es doch nur gut meint.
    Ich versuche zu erklären, was eine Facharbeit ist.
    Als erstes suchen Sie sich ein Thema.
    Wie, ein Thema?
    Zum Beispiel etwas, was Sie besonders interessiert, vielleicht ein Problem, das Sie und auch viele andere beschäftigt. Sie könnten über Kapitalismus, Religion, Abtreibung, Kinder, Politik oder Erziehung schreiben. Manche von Ihnen stammen aus Haiti oder Kuba. Zwei sehr lohnende Themenbereiche. Sie könnten über Voodoo oder die Schweinebucht schreiben. Sie könnten sich mit einem bestimmten Aspekt des Lebens in Ihrem Land beschäftigen, beispielsweise den Menschenrechten, ein bißchen recherchieren, sich Pros und Kontras überlegen, die Sache durchdenken, zu einer Schlußfolgerung kommen.
    Entschuldigung, Herr Professor, was sind Pros und Kontras?
    Pro ist dafür, kontra dagegen.
    Aha.
    Das Aha bedeutet, daß sie keinen Schimmer haben, wovon ich rede. Ich muß weiter ausholen, einen anderen Blickwinkel wählen. Ich frage sie, wie sie zum Thema Exekution stehen. Ihre Gesichter sagen mir, daß sie nicht wissen, wie sie stehen, weil sie nicht wissen, wovon ich rede.
    Unter Exekution versteht man die Hinrichtung von Menschen durch Erhängen, elektrischen Strom, Vergasung, Erschießen oder Garrottieren.
    Was ist denn das?
    Erdrosseln mit einem Halseisen, wie es vor allem in Spanien üblich ist.
    Sie bitten mich, das Wort an die Tafel zu schreiben.

Weitere Kostenlose Bücher