Tag und Nacht und auch im Sommer
Läuten, und als sie hinausdefilierten, sagte Sofia, Hectors Banknachbarin, das hätten Sie nicht tun dürfen. Sie sind ein netter Mensch, aber das hätten Sie nicht tun sollen, und Hector ist auch nett. Hector. Der hat’s nicht leicht, und jetzt haben Sie alles noch schlimmer gemacht.
Jetzt würden die Schüler mich verachten, besonders die Kubaner,
Hectors Gruppe. Es waren dreizehn Kubaner, die größte ethnische Gruppe der Klasse. Sie fühlten sich jeder anderen spanischsprechenden Gruppe überlegen, und freitags trugen sie weiße Hemden, blaue Schlipse und schwarze Hosen, um ja nicht mit irgendeiner anderen Gruppe verwechselt zu werden, vor allem nicht mit den Puertoricanern.
Es war Mitte September, und wenn ich keine Möglichkeit fand, die Kubaner zurückzugewinnen, würden sie mir das Leben schwer machen bis zum Ende des Halbjahrs im Januar.
In der Mittagspause kam ein Beratungslehrer mit seinem Tablett an meinen Tisch. Hi. Was war denn zwischen Ihnen und Hector?
Ich sagte es ihm.
Er nickte. Zu dumm. Ich hab ihn wegen dieser ethnischen Sache Ihrer Klasse zugeteilt.
Was für eine ethnische Sache? Er ist Kubaner, ich bin Ire.
Er ist nur zur Hälfte Kubaner. Der Name seiner Mutter ist Considine, aber er schämt sich deswegen.
Warum haben Sie ihn dann meiner Klasse zugeteilt?
Ich weiß, es klingt kitschig, aber seine Mutter war eine Edelnutte in Havanna. Er hat ein paar Fragen über die Iren, und ich dachte, die würden am ehesten in Ihrer Klasse zur Sprache kommen. Außerdem hat er Probleme mit seinem Geschlecht.
Für mich sieht er aus wie ein Junge.
Ja, schon, aber … Sie wissen schon. Die Sache mit der Homosexualität. Jetzt denkt er, Sie hassen Homosexuelle, und er sagt, also schön, dann hasse ich ab sofort alle Iren, und alle seine kubanischen Freunde werden ebenfalls alle Iren hassen. Nein, das stimmt nicht. Er hat keine kubanischen Freunde. Sie nennen ihn maricon und halten sich von ihm fern. Seine Familie schämt sich für ihn.
Mist. Aber er hat mir nicht gehorcht. Wollte die Zeitschrift nicht aufschlagen. Ich hab keine Lust, mich in einen Sex- und Ethno-Krieg hineinziehen zu lassen.
Melvin bat mich zu einem Gespräch mit ihm und Hector in seinem Büro.
Hector, Mr. McCourt möchte die Unstimmigkeiten zwischen euch bereinigen.
Ist doch mir egal, was Mr. McCourt will. Ich will mit keinem Iren in der Klasse hocken. Die saufen. Und prügeln ohne Grund auf Leute ein.
Hector, du hast deine Zeitschrift nicht aufgeschlagen, obwohl ich dich mehrmals aufgefordert habe.
Er starrt mich mit kalten schwarzen Augen an. Aha, man schlägt seine Zeitschrift nicht auf, und der Lehrer haut einem eins in die Fresse? Wissen Sie was? Sie sind gar kein Lehrer. Meine Mutter war Lehrerin.
Deine Mutter war … Beinahe wäre es mir herausgerutscht, aber er war schon weg, das zweite Mal, daß er einfach abhaute. Melvin zuckte kopfschüttelnd die Achseln, und mir war klar, daß meine Tage an der Modeschule gezählt waren. Melvin meinte, Hector könne mich wegen Körperverletzung verklagen, und dann »brennt Ihnen der Kittel«. Es sollte witzig klingen. Wenn man sich an Schülern vergreifen will, sollte man sich eine Stelle an einer katholischen Schule besorgen. Diese überheblichen Priester und Mönche und sogar die Nonnen verprügeln die Kinder nach wie vor. Vielleicht wären Sie da besser aufgehoben.
Natürlich hörte der Fachbereichsleiter von meinem Problem mit Hector. Er sagte nichts bis kurz vor Beginn der Ferien, dann legte er mir einen Brief ins Fach, in dem er mir mitteilte, daß im nächsten Halbjahr keine Stelle mehr für mich frei sei. Er wünsche mir alles Gute und werde mir gern eine günstige Beurteilung ins Zeugnis schreiben. Als ich ihm auf dem Flur begegnete, sagte er, mit der günstigen Beurteilung müsse er wohl ein bißchen von der Wahrheit abweichen, ha ha. Wenn ich mir Mühe gäbe, könnte ich es aber seiner Meinung nach trotzdem als Lehrer noch zu etwas bringen, denn bei seinen Unterrichtsbesuchen sei ihm aufgefallen, daß ich manchmal doch auf eine
pädagogische Goldmine gestoßen sei. Er lächelte, und man sah ihm an, wie stolz er auf seinen Einfall war. Er sagte etwas über die Stunde, in der ich die Teile eines Satzes damit veranschaulicht hätte, daß ich einen Kugelschreiber zerlegte. Toll, eine pädagogische Goldmine.
10
A lberta sagte, ihre High School, Seward Park auf der Lower East Side, suche einen Lehrer. Da das Hauptgebäude überbelegt war, mußte ich in einer Dependance
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