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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Zusammenhang zwischen dem Aufbau eines Kugelschreibers und dem Aufbau eines Satzes, den ich hergestellt hätte, leuchte ihm ein. Er sei sich zwar nicht sicher, ob das bei den Kindern angekommen sei, aber jedenfalls sei es phantasievoll und originell. Er sei sicher, ha, ha, wenn einige seiner dienstältesten Lehrer das versuchten, könnten sie noch einiges verbessern, aber es sei tatsächlich eine ziemlich schlaue Idee.
     
    Als ich eines Morgens am Schnürsenkel zog, riß er ab, und ich sagte Scheiße.
    Alberta murmelte ins Kopfkissen, was ’n los?
    Mein Schnürsenkel ist gerissen.
    Dir reißen ständig Schnürsenkel.
    Nein, mir reißen nicht ständig Schnürsenkel. Seit Jahren ist mir keiner mehr gerissen.
    Wenn du nicht so gewaltsam dran zerren würdest, würden sie nicht reißen.
    Was redest du denn da? Dieser Schnürsenkel war zwei Jahre alt, er hat Wind und Wetter getrotzt, also kann er doch mal reißen. Ich hab dran gezogen, so wie du an einer Schublade ziehst, wenn sie sich verklemmt hat.
    Ich ziehe nie gewaltsam an Schubladen.

    Tust du wohl. Du steigerst dich in deine puritanische Yankee-Wut rein, als wär die Schublade dein persönlicher Feind.
    Jedenfalls mach ich sie nicht kaputt.
    Nein, du reißt bloß so brutal daran, daß sie sich endgültig verklemmt und du einem Tischlermeister ein Vermögen dafür bezahlen mußt, daß er sie wieder richtet.
    Wenn wir nicht so billige Möbel hätten, bräuchte ich nicht gegen Schubladen zu kämpfen. Mein Gott, ich hätte auf meine Freunde hören sollen, die haben mich alle davor gewarnt, einen Iren zu heiraten.
    Ich konnte einen häuslichen Streit niemals gewinnen. Sie blieb nie beim Thema, in diesem Fall Schnürsenkel und Schubladen. Nein, sie mußte wieder meine irische Herkunft hervorzerren, das schlagende Argument, nach dem man den Delinquenten zum Tod durch den Strang verurteilte.
    Wutentbrannt ging ich in die Schule, hatte keine Lust auf die Schüler und ihre Faxen. Komm schon, Stan, setz dich endlich hin, Joanna, steck bitte deine Schminksachen weg. Hört ihr mir zu? Schlagt eure Zeitschrift Englisch in der Praxis auf, geht auf Seite neun, zu dem Vokabelquiz, und füllt die leeren Felder aus. Dann besprechen wir eure Antworten.
    Sie sagten, ja, ja, ja. Tun wir ihm den Gefallen. Sie wendeten die Zeitschriftenseiten, als seien sie tonnenschwer. Sie ließen sich Zeit. Es war ein schweres Stück Arbeit, Seite neun aufzuschlagen, und bevor sie das bewerkstelligten, mußten sie noch mit ihren Freunden vor, hinter und neben sich alles mögliche besprechen. Vielleicht redeten sie darüber, was sie am Abend zuvor im Fernsehen gesehen hatten, Mann, war das unheimlich, und übrigens, weißt du schon, die Miriam, ja, die in unserer Zeichenklasse, die ist schwanger, hast du das gewußt? Nee, hab ich nicht. Wow! Und wer ist der Vater? Das glaubst du nicht. Schwör, daß du’s nicht weitersagst. Der neue Sozialkundelehrer. Echt? Ich hab gedacht, der ist vom anderen Ufer. Nö, der tut nur so.

    Schlagt ihr jetzt bitte Seite neun auf?
    Fünfzehn Minuten sind schon vergangen, und sie wenden immer noch bleischwere Seiten um. Hector, schlag die Zeitschrift auf Seite neun auf.
    Er hatte glattes schwarzes Haar und einen auffallend weißen Teint. Er starrte ins Leere, als hätte er mich nicht gehört.
    Hector. Schlag die Zeitschrift auf.
    Er schüttelte den Kopf.
    Ich ging zu ihm hin, in der Hand ein zusammengerolltes Exemplar von Englisch in der Praxis . Hector, die Zeitschrift. Schlag sie auf.
    Er schüttelte erneut den Kopf. Ich schlug ihm mit der Zeitschrift ins Gesicht. Ein roter Striemen erschien auf der weißen Wange. Er sprang auf. Ich hasse Sie, sagte er mit tränenerstickter Stimme. Er ging zur Tür, und ich rief ihm nach, setz dich wieder hin, Hector, aber er war schon draußen. Am liebsten wäre ich ihm nachgelaufen und hätte mich bei ihm entschuldigt, aber ich ließ ihn gehen. Wenn er sich ein bißchen abgekühlt und ich einen klaren Kopf hatte, würde ich vielleicht mit ihm reden können.
    Ich ließ die Zeitschrift auf mein Pult fallen und saß für den Rest der Stunde nur da und starrte wie Hector in die Luft. Die Schüler taten nicht einmal so, als würden sie Seite neun aufschlagen. Sie sahen mich oder einander an oder schauten aus dem Fenster, und sie waren still.
    Sollte ich mit ihnen reden, ihnen sagen, wie leid es mir tat? Nein, nein. Lehrer stellen sich nicht hin und bekennen ihre Fehler. Lehrer geben nie zu, daß sie etwas nicht wissen. Wir warteten auf das

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