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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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haben. Ich mein, ich will doch kein Anwalt werden oder so was.

    Mr. Tomas Fernandez war neunundzwanzig. Er arbeitete als Mechaniker bei der Stadt New York. Er hoffte, ein Abschlußdiplom würde ihm zu einer schnelleren Beförderung verhelfen. Er hatte Frau und drei Kinder, und manchmal schlief er während des Unterrichts ein. Wenn er schnarchte, schauten mich die anderen Studenten an, um zu sehen, was ich dagegen unternehmen würde. Ich berührte ihn an der Schulter und schlug ihm vor, draußen eine Pause zu machen. Er sagte, okay, ging hinaus und kam an dem Abend nicht mehr zurück. In der Woche darauf erschien er nicht, und als er dann wiederkam, sagte er, nein, er sei nicht krank gewesen. Er sei in New Jersey drüben gewesen, bei dem Footballspiel – die Giants, Sie wissen schon. Er müsse bei jedem Heimspiel der Giants dabei sein. Könne keins auslassen. Er sagte, es sei zu dumm, daß dieser Kurs montags stattfinde, am selben Abend, an dem die Giants zu Hause spielten.
    Zu dumm, Mr. Fernandez?
    Na ja. Weil, wissen Sie, ich kann ja nicht gleichzeitig an zwei Orten sein.
    Aber, Mr. Fernandez, Sie sind hier an einem College. Der Kurs ist obligatorisch.
    Schon, sagt Mr. Fernandez. Ich sehe ja, wo Ihr Problem liegt, Herr Professor.
    Mein Problem? Mein Problem, Mr. Fernandez?
    Na ja, also, Sie müssen ja irgendwas unternehmen mit mir und den Giants, stimmt’s?
    Das ist es nicht, Mr. Fernandez. Es ist nur so, wenn Sie dem Unterricht fernbleiben, kriegen Sie Ihren Schein nicht.
    Er starrt mich an, als verstünde er nicht, warum ich so komisch mit ihm rede. Er erzählt uns, daß er sein Leben lang die Giants unterstützt hat und sie jetzt, wo sie auf dem absteigenden Ast sind, nicht im Stich lassen kann. Dann würde ihn keiner mehr respektieren. Sein siebenjähriger Sohn würde ihn verachten. Sogar seine Frau, der die Giants nie etwas bedeutet hätten, würde die Achtung vor ihm verlieren.

    Warum, Mr. Fernandez?
    Ganz einfach, Herr Professor. Die vielen Sonntage und Montage, wenn ich bei den Giants war, hat sie zu Hause auf mich gewartet, sich um die Kinder gekümmert und alles, hat’s mir sogar verziehen, daß ich nicht auf der Beerdigung von ihrer Mutter gewesen bin, weil die Giants ausgerechnet da in den Playoffs waren, Mann. Also wenn ich jetzt die Giants aufgebe, würde sie sagen, wozu hab ich dann auf dich gewartet und gewartet? Sie würde sagen, es war alles umsonst. Und deshalb würde sie den Respekt verlieren, weil eins muß man meiner Frau lassen, sie bleibt sich selber treu, so wie ich den Giants treu bleibe, verstehen Sie.
    Rowena aus Barbados sagt, sie findet, diese Diskussion ist Zeitverschwendung und der soll erst mal erwachsen werden. Warum hat er nicht einen Kurs an einem anderen Abend belegt ?
    Weil die anderen Kurse voll waren und ich gehört hab, daß Mr. McCourt ein netter Mensch ist und nichts dagegen hat, daß einer nach einem harten Arbeitstag mal zu einem Footballspiel geht. Kapiert?
    Rowena aus Barbados sagt, sie versteht es nicht. Scheiß, oder geh runter vom Topf, Mann, pardon. Wir kommen auch nach einem harten Arbeitstag hierher, und wir schnarchen nicht im Unterricht und rennen auch nicht zu Footballspielen. Wir sollten abstimmen.
    Allgemeines Kopfnicken. Dreiunddreißig finden, Mr. Fernandez sollte in den Kurs kommen, keine Giants. Mr. Fernandez stimmt für sich. Die Giants gehen vor.
    Obwohl an dem Abend die Giants im Fernsehen kommen, hat er soviel Anstand, bis zum Schluß zu bleiben. Er schüttelt mir die Hand und versichert, daß er mir nichts nachträgt, daß ich wirklich ein netter Mensch bin, aber wir hätten eben alle unsere kleinen Schwächen.

    Freddie Bell war ein eleganter junger Schwarzer. Er arbeitete in der Herrenabteilung des Kaufhauses Abraham and Strauss. Er half mir dort ein Jackett aussuchen, und das hob unsere Beziehung auf eine neue Ebene. Ja, ich bin in Ihrem Kurs, aber ich habe Ihnen geholfen, dieses Jackett auszusuchen. Er kultivierte einen blumigen Stil mit gestelzten, ausgefallenen Wörtern, die er aus diversen Wörterbüchern hatte, und als ich ihm »Vereinfachen, vereinfachen (Thoreau)« unter seine Arbeit schrieb, wollte er wissen, wer dieser Thoreau sei und warum man als erwachsener Mensch Babysprache schreiben solle.
    Weil Ihr Leser vielleicht Klarheit erwartet, Freddie. Klarheit, Freddie, Klarheit.
    Er war anderer Meinung. Sein High-School-Lehrer hatte ihm gesagt, die englische Sprache sei eine prachtvolle Orgel. Warum dieses gewaltige Instrument nicht

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