Tag vor einem Jahr
Reaktion auf diesen Frevel auszuloten. Als sich niemand dazu äußerte, fuhr sie fort.
»Wir haben Brötchen gekauft, von Cuisine de France, und die Enten gefüttert. Wir saßen auf einer Bank und er küsste mich, ohne mich zu bitten, mit ihm in die öffentliche Toilette oder die Büsche oder so zu gehen. Und wir haben Händchen gehalten.«
»In der Öffentlichkeit?« Norman konnte die Worte kaum herausbringen. Laura nickte und lachte dann laut auf. Ihr Glück ließ sie wie eine ganz andere Person erscheinen, so gegenwärtig war es.
»Das war’s? Das war alles, was ihr gemacht habt?« Jennifer wirkte enttäuscht. Das war ein Laura-untypisches
Verhalten. Wo war der Skandal? Die Sex-an-der-Hauswand-bis-der-Putz-bröckelt-Szene? Wo waren die Striemen / Verbrennungen / Blutergüsse? Wo war die peinliche Szene mit wilden Tieren und Handschellen und den Leuten, die mit offenem Mund im Kreis drum herumstehen und gaffen? Laura lachte wieder, und für einen Augenblick sah ich ihr Gesicht, wie es gewesen war, bevor ihr das Herz gebrochen wurde (Allen machte drei Wochen vor der Hochzeit mit ihr Schluss) und sie sich das verbitterte Versprechen gab, niemals wieder eine Beziehung mit jemandem einzugehen. Ich sah dieses Gesicht, an das ich mich von damals her noch erinnerte, und dann verschwand es so plötzlich wie die Sonne an einem Winterabend.
»Danach gingen wir heim, und ich ließ ihn nicht schlafen, bis wir jedes Zimmer im Haus eingeweiht hatten.« Sie warf sich das volle blonde Haar über die Schultern und schürzte ihre Lippen, als wollte sie »das war’s« sagen. Wir waren gehörig beeindruckt. Lauras Vater – ein reicher Hotelier – hatte Laura ihr Haus in Rathmines gekauft. Es war sein Hochzeitsgeschenk für sein einziges Kind gewesen, und obwohl die Hochzeit niemals stattfand, lebte Laura dort: Es war ihr Denkmal der Enttäuschung, und sie klammerte sich daran wie an einen Rettungsring. Es handelte sich um ein Haus von bescheidener Größe, aber trotzdem gab es dort mindestens acht Räume. Wir waren von ihrer Ausdauer beeindruckt – und von Peters, Gott segne ihn.
Laura lehnte sich zurück und saugte mit einem Strohhalm langsam an ihrem Smoothie. Das Gespräch war beendet.
»So, Grace.« Norman wandte sich mir zu und grinste. »Was hast du Neues und Spannendes zu berichten?« Er formte seine Hände zu einer Brücke und legte sein spitzes Kinn darauf ab.
»Außer von meinem fabelhaften neuen Job? Meiner Beförderung, wenn du so willst?« Um ehrlich zu sein, war ich noch immer ein bisschen fassungslos deswegen. Norman knabberte den Zuckerguss von seinem Muffin und wischte meine Worte mit einer Handbewegung vom Tisch.
»Um Himmels willen. In Bezug auf Shane natürlich. Und Bernard.« Er blickte mich unter seinen dicken schwarzen Augenbrauen hervor mit teuflischen Absichten an. Ich beschloss, geradewegs zu Punkt sechs meiner neuen To-do-Liste zu kommen. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.
»Es ist witzig, dass du Bernard erwähnst.« Ich wischte meine Thunfischkrümel mit einer Fritte auf, die ich von Jennifers herrlich vollgeladenem Teller geklaut hatte. Sie beugten sich näher zu mir. »Er hat sich vergangene Woche zu einem Blind Date mit Caroline verabredet.« Ich setzte mich zurück und genoss den allgemeinen Ausdruck der Verwirrung auf ihren Gesichtern.
»Mit der Fabelhaften Caroline?«, fragte Ethan, der nun endlich auch mal zu Wort kam. Er war wie die meisten seiner männlichen Kollegen in Caroline verliebt. Außerdem hatte er auch ein bisschen Angst vor ihr, was seine Gefühle nur noch verstärkte.
»Mit ebender.« Ich nahm mir noch eine Fritte von Jennifers Teller, legte sie aber wieder zurück.
»Ich dachte, du wärst letzten Freitag mit ihm ausgegangen?« Norman hatte nicht vor lockerzulassen.
»Er hat mich nur ein Stück mitgenommen.« Ich schaute demonstrativ zu Laura, die die Güte besaß wegzusehen.
»Da ist noch mehr«, sagte ich und genoss es, wie Lauras Kopf wieder zu mir herumfuhr.
»Was denn?«, fragte Ethan. Ich konnte sehen, wie er unter dem Tisch die Finger kreuzte, in der Hoffnung, es würde
sich um etwas handeln, das sein Herz verkraften konnte. Ich hoffte, dass es das konnte.
»Caroline hat sich in ihn verliebt.« Mehrere Sekunden lang herrschte Schweigen. Ich konnte es ihnen nicht verdenken.
»Aber … Caroline hat sich noch nie verliebt«, warf Jennifer schließlich ein. Und das entsprach der Wahrheit, bis jetzt. Ihre Reaktionen – offene
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