Tag vor einem Jahr
diesem Tag hatte er Geburtstag. Er war ein Mann, der allseits geliebt wurde, und obwohl seine Haare grau und schütter waren und sein Kopf für seinen Körper zu groß war, sah er glücklich aus.
»Bestens, Niall. Großartig. Ich richte mich hier gerade ein.« Ich lächelte ihn an. Man konnte gar nicht anders. Dann stand ich auf und ging Richtung Klo. Shanes E-Mail beunruhigte mich. Noch letzte Woche wäre ich dankbar dafür gewesen. Nun war ich wütend. Ich glühte vor Wut. Es war eine ungewohnte Situation, und ich bemerkte, dass ich schon lange nicht mehr wütend gewesen war. Ich hatte vergessen, wie gut sich das anfühlen konnte. Wie es die Energien lenken und einem dabei helfen konnte, sie zu bündeln. Als ich zu meinem Schreibtisch zurückkehrte, haute ich unbarmherzig auf meine Tastatur ein, bis es, ohne dass ich es gemerkt hatte, 11 Uhr war und ich zur Hälfte mit den Briefing-Unterlagen für Bernard durch war. Ich würde diesen Kerl unterweisen, bis er mich auf Knien um Einhalt anbettelte. Ich legte meine Handflächen auf die Tastatur,
die ganz heiß war, und schaute mich um. Peter saß an seinem Schreibtisch und wirkte erschöpft und dünner, als ich ihn in Erinnerung hatte. Keine Spur von Bernard. Wo war er? Ich setzte einen gelangweilten Gesichtsausdruck auf und ging zu Peters Schreibtisch hinüber.
»Hast du eine Ahnung, wann Bernard kommt?«
Peter sah auf und starrte mich an, als hätte er mich noch nie zuvor in seinem Leben gesehen. Laura hatte wirklich ordentlich auf den Putz gehauen mit ihm. Er war geisterhaft blass, und auf seinem Gesicht sprießte ein Dreitagebart. Doch dann lächelte er, und überzeugte mich so davon, dass es Laura gutgehen würde. Es würde alles klappen zwischen den beiden. Sein Lächeln sagte alles.
»Er kommt heute nicht«, antwortete Peter. Die Enttäuschung traf mich wie ein Eimer kaltes Wasser. Mir war nicht aufgefallen, dass ich den ganzen Morgen auf Bernard gewartet hatte. Darauf, dass er sich mir gegenüber hinsetzen und lächeln würde, mit diesen Grübchen, die aussahen, als wären sie in die Wangen gestanzt worden. Trotz Punkt sechs auf meiner To-do-Liste.
»Er musste heute ins Galwayer Büro. Der Server dort spielt verrückt.« Peter sprach und hackte gleichzeitig auf seine Tastatur ein. EDV-Leute können das. Als ich stehen blieb, sah er vom Bildschirm auf. »Wahrscheinlich kommt er morgen zurück. Oder vielleicht am Mittwoch.«
»Danke, Peter. Wie war übrigens dein Wochenende?« Meine Frage löste bei ihm ein kurzes Kopfzucken aus. Fast schon ein Spasmus.
»Gut, großartig, ja.« Und dann erinnerte er sich seiner Kinderstube.
»Und wie war deins?«
»Um ehrlich zu sein, ziemlich beschissen, aber auf eine gute Art.« Das rutschte mir einfach so heraus, aber es machte
nichts, dass ich es sagte, denn Peter hörte nicht zu. Nicht wirklich. Er war schließlich verliebt. In Laura aus der Buchhaltung. Manchmal kann ein Montagmorgen fast vollkommen sein. Ich ging hinaus, um eine Zigarette zu rauchen.
Ciaran hatte ich seit unserer seltsamen Unterhaltung von letztem Donnerstag nicht mehr gesehen. Er war noch immer da, noch immer in seinem Wachhäuschen, noch immer mit seiner kalten Pfeife und seinem bedächtigen Lächeln. Das liebte ich an Ciaran. Er hatte etwas so Konstantes an sich. Er gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Als ich das Kabuff betrat, war er schon dabei, Kaffee zu kochen, mit dem Rücken zu mir. Er drehte sich zu mir um, einen dampfenden Becher mit Kaffee in der Hand, den er mir hinhielt. Er wirkte müde. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, fragte ich mich, wie alt er wohl war. Vielleicht fünfundfünzig? Vielleicht sechzig?
»Wie war dein Wochenende mit Shane?« Ciaran ließ sich auf einem Plastikstuhl nieder, der leuchtend orange war und bar jeden Komforts. Er wies winkend zum anderen Stuhl, und ich setzte mich, die Hände um den Kaffeebecher. Heute war es mir hier drinnen kalt. Ciaran bemerkte es, denn er nickte in Richtung Schublade, wo er seinen Whiskey aufbewahrte.
»Heute nicht, Ciaran. Es ist der erste Tag in meinem neuen Job . Ich bin heute brav.«
Er nickte und lächelte mir abwartend zu.
»Das Wochenende mit Shane war …« Und dann brach ich ab. Wie war es? Wie konnte ich es beschreiben? Plötzlich schien es wichtig, die richtigen Worte zu finden.
»Interessant«, war das Beste, was mir einfiel.
»Hm.« Ciaran nickte, als wäre er mit meiner Wortwahl einverstanden, und zog hingebungsvoll an seiner Pfeife.
»Er kommt her. Nächstes
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