Tag vor einem Jahr
waren auch noch zwei Anrufe von Clares Handy vermerkt. Ich konnte die Hysterie, die aus dem Handy drang, förmlich riechen. Aber wie hätte man ihr das vorwerfen können? Ich ging wohl kaum als Musterbeispiel einer Ersten Brautjungfer durch. Eine SMS würde nicht genügen, ich musste sie anrufen.
Ihr Handy nahm sie nicht ab, und auf ihrem Festnetzanschluss wurde ich dazu eingeladen, nach dem Pfeifton eine Nachricht zu hinterlassen. Ich machte das, was ich immer machte, wenn Clare und ich unsere Anrufbeantworter dran hatten.
»Clare, bist du da? Nimm ab, nimm ab, nimm ab, verdammt«, so wie sie es in amerikanischen Filmen machen. Warum konnten sie nicht einfach wie normale Leute eine Nachricht hinterlassen?
»Clare? Es tut mir wirklich leid, aber ich habe deine Nachrichten eben erst erhalten. Ich war den ganzen Tag über ziemlich beschäftigt und hatte außerdem wieder einmal mein Handy zu Hause vergessen. Zwölf Uhr dreißig ist kein Problem, ich werde pünktlich da sein. Versprochen.«
Ich lief in der Wohnung herum. Sie war so ordentlich wie eine Kaserne. Caroline würde begeistert sein. Einmal mehr inspizierte ich den Kühlschrank, ich liebte die Art, wie die Ablageböden unter den Lebensmitteln ächzten. Ich war wie ein gefangenes Tier, lief rastlos auf und ab – dabei war es erst 20 Uhr 06. Der Himmel wusste, wann Shane auftauchen würde. Ich wollte ihm keine SMS schicken. Er hasste es, festgenagelt zu werden. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Vielleicht zu lesen. Und zu versuchen, nicht zu essen.
Ich musste auf der Couch eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, war es dunkel in der Wohnung, und die Kerzen waren alle heruntergebrannt. Im Nacken spürte ich eine Verspannung, und mein linker Arm, den ich mit meinem Körper gegen die Couch gepresst hatte, kribbelte. Mir war kalt. Laut meinem Handy war es 2 Uhr 30. Shane hatte vor zwei Stunden eine Nachricht geschickt:
Bin bald zu Hause.
Ich ging ins Schlafzimmer, räumte meine heißen Höschen und das Trägerhemdchen weg, die ich beide hatte tragen wollen, und zog einen warmen Baumwollschlafanzug an, der in der Männerabteilung eines Altenheims nicht fehl am Platz gewesen wäre. Ich sank zwischen die Decken, in der Absicht, mich vor Ärger und Enttäuschung herumzuwälzen, und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen.
25
Das Tageslicht erkämpfte sich seinen Weg ins Schlafzimmer. Shane lag neben mir auf dem Bett, nicht zugedeckt, komplett angezogen. Sein Gesicht war von Bartstoppeln überzogen, es sah schmaler aus als in meiner Erinnerung. Seine Wimpern waren noch dieselben, lang, dicht und dunkel. Seine Haare waren zerzaust und struppig und würden, sobald er wach war, einer gründlichen Restaurierung unterzogen werden. Vorsichtig berührte ich seine Haut mit meinen Fingerspitzen: Sie war kühl. Er murmelte etwas und rollte sich zu mir herüber. Gott, wie sein Atem stank. Ich kletterte aus dem Bett und schlich in die Küche. Wenn ich ein ordentliches Frühstück zu mir genommen hatte, bevor er aufwachte, konnte ich später, wenn er aß, an einem Apfel herumkauen.
Ich kämpfte heftig dagegen an, mir ein Specksandwich mit brauner Soße zuzubereiten. Und verlor. Nachdem ich zwei dicke Scheiben Schinkenspeck in die Pfanne geworfen hatte, hielt ich inne. Die dritte Scheibe hatte ich bereits in der Hand, sie baumelte über der heißen Pfanne.
Es war sowieso schon egal. Ich ließ sie in die Pfanne ins Fett gleiten. Das dunkle Fleisch wurde rosarot, während es zischte und spritzte. Der Geruch war sagenhaft. Ich war ganz darin versunken.
»Guten Morgen, meine Schöne. Du hast doch wohl nicht vor, den ganzen Speck zu essen, oder?«
Shane stand in der Küchentür und legte die Stirn in
Falten. Er hatte seine Haare in Ordnung gebracht, die nun fein säuberlich über eine Seite des Gesichts fielen. Selbst mit seinen zerknitterten Kleidern und seinem verschlafenen Gesicht war er ein wunderschöner Mann. Und stand in meiner Küche vor der Kulisse von brutzelnden Speckscheiben. Es war nahezu vollkommen.
»Ich mache gerade Frühstück für dich«, log ich und ging auf ihn zu, bis er endlich da war, in meinen Armen, wie ich es mir so oft erträumt hatte. Geschickt öffnete er meinen Morgenmantel und ließ seine Hand daruntergleiten, hielt aber inne, als er den Baumwollschlafanzug entdeckte. Ich zog mich von ihm zurück und hielt ihn auf Armeslänge von mir.
»Nicht auf leeren Magen«, lachte ich. »Für das, was du vorhast, brauchst du eine
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