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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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mir leid, Clare. Alles in Ordnung?« Ich musterte sie beunruhigt. Diese winzige Braut in spe. Meine kleine Schwester. Sie lächelte mich an, als sie sich zu ihren vollen eins siebenundfünzig aufrichtete.

    »Es geht mir bestens, Grace. Und du bist trotzdem großartig, egal wie sehr du dich dagegen wehrst.«
    Ich drehte mich um, um mich im Spiegel zu betrachten. Größe 40 passte perfekt. Das hatte ich Shane zu verdanken. Meine Haare fielen fließend über Nacken, Schultern und Arme. Mithilfe von vier Duschen und fünf Luffa-Schwämmen war meine Haut wieder in den Farbton weißer Daunenfedern zurückversetzt worden. Abrupt drehte ich mich zu ihr um.
    »Ich habe etwas Dummes gemacht. Ich kann nicht aufhören, daran zu denken.« Ich spuckte die Worte aus, sie hinterließen einen üblen Geschmack in meinem Mund, aber ich fühlte mich auf der Stelle besser. Clare sah besorgt aus.
    »Lass uns von hier weggehen, dann sprechen wir darüber.«
     
    Wir setzten uns auf die Promenade und tranken dünnen Latte aus großen Pappbechern. Trotz der grell scheinenden Nachmittagssonne sammelte sich unser Atem in kleinen Wölkchen vor uns. Meine Lippen umschlossen den Filter meiner Zigarette, und ich atmete lange aus, bevor ich sprach.
    »Ich habe mit einem Kollegen aus dem Büro geschlafen. Ich hatte es nicht vor. Es ist einfach passiert. Am vergangenen Wochenende.«
    Die Stille zwischen uns dauerte an. Ich tauchte ein.
    »Wahrscheinlich war ich einsam. Mir ist klar, dass das keine Entschuldigung ist. Er ist so untypisch. Für mich, meine ich. Irgendwie ist er ganz ruhig und bedacht. So sensibel und zurückhaltend. Er redet nicht viel. Ich habe von Männern wie ihm gelesen, aber ich habe tatsächlich noch nie einen wie ihn kennengelernt.«

    Clare sah geradeaus, enthielt sich noch immer eines Ratschlags. Ich wartete darauf.
    »Er hat mir gesagt, ich sei eine interessante Frau.« Ich hielt inne, um Atem zu holen und senkte mein Gesicht zu meinem Kaffeebecher, ließ den Dampf meine Nase hinaufziehen und wärmte mich daran.
    »Er hat gesagt, du wärst eine interessante Frau?« Clare klang besorgt.
    »Ja, aber ich glaube nicht, dass er es so gemeint hat«, konterte ich schnell. »Ich meine … ich glaube, er meinte in etwa, dass ich … du weißt schon, vielleicht ein bisschen seltsam wäre oder so.«
    Clare sah mich aufmerksam an, ihre rosafarbene Zunge erwartungsvoll zwischen die Lippen geschoben.
    »Clare, nein, so war es nicht. Es war nur Sex, wirklich.« Ich brauchte Clare, um die Situation zu klären, nicht um sie zu verwirren.
    »Wann hat Shane das letzte Mal etwas Positives über dich gesagt?«
    Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu erwidern. Schnell fügte Clare hinzu: »Außerhalb des Schlafzimmers, meine ich.«
    Ich schloss meinen Mund und dachte über die korrigierte Frage nach, konnte mich nicht erinnern und ging in Verteidigungsstellung.
    »Clare, wir können nicht alle so sein wie du und Richard. Wie Romeo und diese verdammte Julia. Es überrascht mich, dass ihr keinen Balkon vor eurer Schlafzimmer gebaut habt und er noch nicht gelernt hat, die Scheißmandoline zu spielen oder so.«
    Clare ignorierte mich. »Du hast gesagt, du kannst nicht aufhören, daran zu denken.«
    Ich nahm ein weiteres Mal einen tiefen Zug von meiner
Zigarette und atmete so langsam wie möglich aus. Wir saßen schweigend da, inmitten davonschwebender Rauchwölkchen.
    »Aber ich habe Shane. Er schmiedet Pläne.«
    »Na klar, und wie sehen die aus?« Diese Skepsis passte nicht zu Clare. So wenig wie ein Paar Sneakers zu einem Cocktailkleid passten. Sie schlang ihre Hände um den Becher und wärmte sie daran.
    »Wir haben noch nicht über sie gesprochen.« Ich sah auf die Kais hinaus. Möwen tanzten auf niedrigen Wellen, ihre prächtigen weiß und grau gefiederten Brüste blähten sich auf, die Köpfe hatten sie hoch erhoben. Ich wollte so wenig. Warum konnte ich das nicht bekommen?
    Nach langer Zeit sagte Clare: »Shane kommt heute Abend nicht mit zu Mam, oder?«
    Ich antwortete nicht, und Clare drückte ihre Hand gegen mein Knie. »Es klingt, als sei Bernard jemand Besonderes. Ich würde ihn sehr gerne kennenlernen.«
    »Das wird nicht passieren.« Ich drückte meine Zigarette im Aschenbecher aus, Funken flogen. Ich beschloss, ihr nicht zu erzählen, dass Shane seinen Aufenthalt in London verlängern würde. Damit würde ich warten, bis ich ihr etwas Gutes zu berichten hatte. Über Shane und mich. Mich und Shane. Über uns.

26
    Sydney, 10. Januar

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