Tage der Freuden
zusammengetrommelt hatte, die sie zu ihren Diners nicht hatte einladen können, denen gegenüber sie aber aus verschiedenen Gründen nicht unhöflich sein wollte – und nun hatte sie sie kunterbunt zusammengebracht. Die Krone des Ganzen war eine Herzogin, welche die Spanierin aber bereits kannte und von der nichts zu holen war. Deshalb wechselte sie verzweifelte Blicke mit ihrem Gemahl, dessen gutturale Stimme man bei allen Soiréen nach und nach in Zwischenräumen von je fünf Minuten folgende Worte hervorbringen hörte: »Wollen Sie die Güte haben, mich dem Herzog vorzustellen?« – »Durchlaucht, wollen Sie die Güte haben, mich der Herzogin vorzustellen?« – »Frau Herzogin, wollen Sie mir die gütige Erlaubnis geben, Ihnen meine Frau vorzustellen?«, wobei die Pausen zwischen den Bitten durch wichtige andere Notwendigkeiten ausgefüllt werden. Er war außer sich, jetzt seine Zeit zu verlieren, dennoch spann er eine Unterhaltung mit seinem Nachbarn an, dem Kompagnon des Hausherrn. Seit einem Jahr flehte Fremer seine Frau an, diesen Kompagnon einzuladen. Endlich hatte sie nachgegeben und hatte ihn eingeschmuggelt zwischen einen Humanisten und dem Gatten der Spanierin. Der Humanist las zuviel und aß nicht zuwenig. Es gab bei ihm viel Zitieren und viel historische Rückblicke, und beides mißfiel als höchst lästig seiner Nachbarin, einer vornehm bürgerlichen Dame, Frau Lenoir. Sie hatte schnell die Unterhaltung auf die Siege des Prinzen Buivres in Dahomey gelenkt und sagte mit ergriffener Stimme: »Das arme Kind! Wie freut es mich, daß es unserer Familie Ehre bringt.« Tatsächlich war sie die Kusine der Buivres, und diese, alle jünger als sie, behandelten sie mit der Auszeichnung, die ihr Alter, ihre Anhänglichkeit an die königliche Familie und ihr großes Vermögen bei kinderloser dritter Ehe verdienten. Sie hatte, was ihr an Familiengefühlen innewohnte, auf alle Buivres übertragen. Sie empfand tiefe Beschämung bei dem einen, der Oberrichter war und in Schmutz wühlen mußte, aber rings um ihre ordnungsmäßig denkende Stirn, unter ihren orleanistischen Stirnbinden trug sie die Lorbeeren dessen, der General war. Sie war in den bis dahin so streng verschlossenen Kreis dieser Familie eingedrungen, sie war ihr Haupt geworden, gleichsam die Alterspräsidentin. In der modernen Gesellschaft fühlte sie sich tatsächlich sehr isoliert, sprach stets mit Rührung von den »alten Edelleuten von einst«. Ihr Snobismus war nur Phantasie und umgekehrt ihre ganze Phantasie nur Snobismus. Die hohen, sehr berühmten Namen von einst übten über ihren sensiblen Geist eine eigenartige Herrschaft, sie fand einen ebenso uneigennützigen Genuß darin, mit einem Fürsten zu dinieren wie Memoiren des ancien régime zu lesen. Sie trug immer die gleichen Hängelocken, ihre Frisur änderte sich so wenig wie ihre Grundsätze. Ihre Augen funkelten von Dummheit. Ihr lächelndes Gesicht war edel, ihre Mimik außerordentlich und nichtssagend zugleich. Sie hatte aus lauter Gottvertrauen den gleichen Optimismus am Vorabend einer garden party wie am Vorabend einer Revolution, und dieser zeigte sich in hastigen Bewegungen, die den Radikalismus beschwören sollten oder das böse Wetter. Ihr Nachbar Humanist plauderte mit ermüdender Eleganz und mit einer schrecklichen Geschicklichkeit im Formulieren. Um seine Vorliebe für einen guten Bissen und einen guten Tropfen vor andern zu entschuldigen und um diese Liebe in seinen eigenen Augen zu poetisieren, zitierte er Horaz. Unsichtbare, antike, aber frisch gebliebene Rosen kränzten seine schmale Stirn. Mit ewig gleichbleibender Liebenswürdigkeit, die ihr leicht fiel, weil sie darin eine Übung ihrer Macht und ein Zeichen ihrer Achtung vor alten Traditionen sah, wie sie jetzt selten geworden ist, richtete Frau Lenoir alle fünf Minuten das Wort an den Kompagnon des Herrn Fremer. Übrigens hatte dieser Gast keinen Grund, sich zu beklagen. Von der andern Seite der Tafel richtete Frau Fremer die bezauberndsten Schmeicheleien an ihn. Sie wollte, daß dieses Diner für mehrere Jahre reiche, und in ihrem energischen Entschlusse, diese Feststörung sich möglichst lange fernzuhalten, begrub sie sie heute unter Blumen. Was Herrn Fremer betrifft, so arbeitete er tagsüber in seiner Bank, abends schleppte ihn seine Frau in die Gesellschaft, oder er mußte daheim bleiben, wenn seine Frau empfing, immer bereit sein, alles herunterzuschlucken, immer den Maulkorb um den Mund –schließlich brachte er
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