Tage der Freuden
drücken zu können. Dann wurde er erschreckt vom groben, übertriebenen Klang einer Stimme, die seit einer Viertelstunde wiederholte: »Das Leben ist trist, es ist idiotisch« (das letzte Wort ward unterstrichen von einer harten Geste seines rechten Armes, und er nahm nun die abgehackte Bewegung seines Stockes wahr). Er mußte sich traurig sagen, daß diese mechanischen Worte eine recht banale Übersetzung ähnlicher innerer Gesichte waren, die er für nicht ganz klar ausdrückbar hielt.
»Ach, zweifellos hat sich die neue Kraft meines Leids oder meiner Freude verhundertfacht, aber der intellektuelle Märchendichter in mir ist der gleiche geblieben. Mein Glück ist Nervensache, persönlich, nicht auf andere zu übertragen, und schriebe ich jetzt, so hätte mein Stil die gleichen Zeichen von Mittelmäßigkeit und dieselben Fehler wie sonst.« Aber er fühlte sich körperlich so wohl, daß er an dies nicht weiter dachte, und dieses Wohlbefinden verschaffte ihm unmittelbar höchsten Trost, das Vergessen. Er war auf den Boulevards angekommen. Es gingen Leute vorbei, er schenkte ihnen seine Sympathie und war sicher, daß auch sie ihm diese entgegenbrachten. Er fühlte sich als ihr glorreicher Zielpunkt, so öffnete er seinen Paletot, damit man die strahlende Weiße seiner Hemdbrust sähe, den fabelhaften Sitz seines Abendanzuges, die dunkelrote Nelke in seinem Knopfloch. So bot er sich der Bewunderung der Passanten an und ihrer Zärtlichkeit, denn er stand mit ihnen in heiterem, wonnig herzlichem Kontakt.
Trauer und Träume in allen Regenbogenfarben
I
Tuilerien
»Die Lebensführung des Dichters sollte so einfach sein, daß die allergewöhnlichsten Dinge ihn bewegen können; seine Freudigkeit müßte wie eine Frucht einem bloßen Sonnenstrahl entwachsen, die bloße Luft müßte die Kraft haben, ihn zu begeistern, Wasser müßte genügen, um ihn trunken zu machen.«
Emerson
Heute morgen hat sich die Sonne in den Tuilerien nach und nach auf allen Steinstufen zur Ruhe gelegt, gleich einem blonden Jüngling, dessen leichten Schlaf schon das Vorübergleiten eines Schatten weckt. Junge Sprossen grünen am alten Palastgemäuer. Ein zauberhaft beschwingter Wind mischt den Duft der Vergangenheit mit dem frischen Geruch des blühenden Flieders. Die Statuen, die sonst wie Irrsinnige auf unseren Plätzen Schaudern hervorrufen, träumen hier unter Hagebuchen, gleich Weisen, die das strahlende Grün wie ein Dach über ihren weißen Glanz gebreitet haben. Auf dem Grunde der Wasserbecken brüstet sich Himmelsblau und strahlt wie Menschenblick. Von der Terrasse am Wasser bemerkt man, wenn man von der anderen Seite des Quai d’Orsay kommt, auf dem jenseitigen Ufer einen vorübergehenden Husaren, der aussieht, als schritte er hervor aus einem andern Jahrhundert.
Die Winden quellen toll über die Vasen, die Geranien erheben sich wie Kronen. Das Heliotrop glüht in der Sonne und verbreitet seinen Duft. Vor dem Louvre sind die Zitterrosen hoch aufgeschossen, leicht wie Mäste, edel und zierlich wie Säulen, errötend wie junge Mädchen. Die Wasserspiele richten ihre Strahlen gegen den Himmel, irisierend in der Sonne und seufzend wie aus Liebe. Am Ende der Terrasse sieht man einen Reiter aus Stein, ohne sich von seinem Platze zu rühren, in tollem Galopp dahinsetzen; die Lippen hat er lustig an eine Trompete gepreßt, er verkörpert die ganze junge Glut des Frühlings.
Aber nun hat sich der Himmel verdunkelt, und es wird regnen. In den Wasserbecken ist jede Spur von glänzendem Azur verschwunden. Nun gleichen sie blicklosen Augen oder Vasen voll von Tränen. Das törichte Wasserspiel wird von dem Winde gepeitscht, und doch erhebt es schneller und höher gegen den Himmel seine jetzt etwas komisch anmutende Hymne. Die schutzlose Schönheit des Flieders ist sehr traurig. Und da unten sieht man den nichtsahnenden Reiter, wie er bei verhängten Zügeln mit seinen Marmorbeinen sein Pferd zu einem rasenden und doch unbeweglichen Galopp durch eine unbewegliche und wütende Geste anspornt – und dabei bläst er ohne Ende seine Trompete gegen den schwarzgewordenen Himmel.
II
Versailles
»Ich kenne einen Wasserarm, der die wütendsten Schwätzer zum Schweigen bringt, sobald sie sich ihm genähert haben; und hier bin ich immer glücklich, sei es, daß ich fröhlich herkomme, sei es, daß ich traurig bin.«
Brief Balzacs an Herrn de Lamothe-Aigron
Der erschöpfte Herbst, den jetzt nicht einmal ein seltener Sonnentag wiedererwärmt,
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