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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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der frischen Heiterkeit des Himmels genoß ich an dem Abend, wo »alles sich erfüllt hat«. Trotzdem mein Verlobter, der auf zwei Tage zu seiner Schwester gereist war, abwesend war, trotzdem der junge Mann, den die schwerste Verantwortung für meine begangenen Fehltritte traf, am Diner teilnahm, empfand ich an diesem klaren Maienabend nicht die geringste Traurigkeit. Keine Wolke am Himmel, keine auf seinem Spiegel, meiner Seele. Als bestehe zwischen meiner Mutter und meiner Seele eine geheimnisvolle Verbindung (obwohl die Mutter von meinen Verfehlungen absolut nichts wußte), war mit meiner Seele auch meine Mutter fast geheilt. »Man muß sie noch acht Tage schonen«, hatte der Arzt gesagt, »dann wird ein Rückfall kaum zu befürchten sein.« Diese Worte allein genügten, mir eine so glückliche Zukunft zu versprechen, daß ich bei dem Gedanken an all diese Milde in Tränen zerfloß. An diesem Abend trug meine Mutter ein etwas eleganteres Kleid, als es sonst ihre Gewohnheit war, und obwohl mein Vater seit zehn Jahren schon tot war, hatte sie heute zum erstenmal etwas Malvenfarbiges an ihr gewohntes schwarzes Kleid getan. Sie war ganz verwirrt, jetzt wie in jüngeren Jahren gekleidet zu sein, traurig und erfreut zugleich, daß sie ihren Schmerz und ihre Trauer bezwungen hatte, um mir Vergnügen zu bereiten und meine Freude zu feiern. Ich nestelte eine rosa Nelke an ihren Gürtel, sie stieß sie erst zurück, doch weil sie von mir kam, steckte sie sie verschämt und mit zögernder Hand an. Als wir uns zu Tisch setzen wollten, zog ich sie in die Nähe des Fensters und küßte leidenschaftlich ihr Gesicht, das sich von den früheren Leiden zart erholt hatte. Es ist nicht wahr, was ich gesagt habe – daß ich die Süßigkeit ihres Kusses in Oublis nie wieder empfunden hätte. Der Kuß an diesem Abend war mir süßer als jemals ein anderer. Oder – es war derselbe Kuß wie in Oublis, denn der Zauber einer ähnlichen Minute hatte ihn geweiht; er schwebte leise aus den Tiefen der Vergangenheit empor und legte sich zwischen die noch ein wenig blassen Wangen meiner Mutter und meine Lippen.
    Man trank auf das Glück meiner bevorstehenden Ehe. Ich war gewohnt, nur Wasser zu trinken, denn der Wein erregte meine Nerven zu sehr. Doch mein Onkel erklärte, bei einer solchen Gelegenheit könnte ich schon eine Ausnahme machen. Ich erinnere mich genau des lustigen Gesichtes, das er bei diesem dummen Ausspruch machte … Mein Gott! Mein Gott! Ich habe mit so viel Ruhe alles gebeichtet, soll ich nun hier nicht mehr weiterkönnen? Ich weiß nichts mehr! Doch, ja … mein Onkel sagte, bei solch einer Gelegenheit könnte ich eine Ausnahme machen. Er sah mich dabei lachend an, und ich trank sehr schnell und ohne meine Mutter anzusehen, aus Angst, daß sie es mir verbieten würde. Sie sagte sanft: »Man soll dem Bösen nie einen Platz einräumen, und sei es ein noch so geringer.« Aber der Champagner war so kühl, daß ich noch zwei Gläser trank. Mein Kopf war nun schwer und benommen, ich sehnte mich sowohl nach Ruhe als auch danach, meine erregten Nerven zu entspannen. Man erhob sich. Jacques kam auf mich zu und sagte, indem er mich unverwandt ansah:
    »Wollen Sie mit mir kommen? Ich möchte Ihnen ein paar Verse zeigen, die ich geschrieben habe.«
    Seine schönen Augen leuchteten sanft aus seinem frischen Gesicht, langsam kräuselte er mit einer Hand seinen Schnurrbart. Ich verstand sofort, daß ich verloren sei, und fand keine Kraft, zu widerstreben. So sagte ich zitternd:
    »Ja, es wird mir Freude machen.«
    Mit diesen Worten, nein, vielleicht schon vorher, als ich das zweite Glas Champagner trank, beging ich die wirklich verantwortungsvolle, die schändliche Tat. Danach ließ ich mich nur noch treiben. Wir hatten beide Türen zugeschlossen, und er preßte mich an sich, ich fühlte seinen Atem an meiner Wange, fühlte seine Hände, die an mir entlangtasteten. Die Lust ergriff mich mehr und mehr: doch gleichzeitig mit dieser Wollust erwachte eine unendliche Traurigkeit, eine grenzenlose Verzweiflung in der Tiefe meines Herzens. Es schien mir, als machte ich die Seele meiner Mutter, die Seele meines Schutzengels und meines Gottes um mich weinen. Niemals hatte ich ohne zitterndes Entsetzen lesen können, daß Verbrecher Tiere, ihre eigenen Frauen und ihre Kinder quälen. Nun schien es mir in meiner Verwirrung, daß in jeder wollüstigen, sträflichen Handlung ebensoviel Grausamkeit von Seiten des genießenden Körpers enthalten ist und

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