Tage der Freuden
der schönen Frau Lenoir. Nur einen gemeinsamen Zug hatte er ausgelassen, oder besser gesagt, nicht einen Zug, sondern das Symptom des Massenwahnsinns der wütenden Seuche, woran sie alle gleich litten, des Snobismus. Je nach der Verschiedenheit ihrer Naturen zeigte er sich unter allerhand Masken, und es gab einen weiten Abstand zwischen dem phantasiereichen, erfinderischen Dichtersnobismus der Frau Lenoir und dem Eroberungssnobismus der Frau von Torreno, der gierig war wie ein ehrgeiziger Beamter, der avancieren will. Und doch war auch diese furchtbare Frau andererseits noch menschlicher Regungen fähig. Ihr Nachbar hatte ihr gesagt, er habe im Park Monceau ihr kleines Töchterchen bewundert. Sofort brach sie ihr indigniertes Schweigen. Sie empfand für diesen unbekannten Büromenschen eine dankbare Sympathie, ein reines Gefühl, vielleicht ein stärkeres, als sie es einem Prinzen von Geblüt hätte entgegenbringen können, und nun plauderten sie wie alte Freunde.
Mit sichtlicher Genugtuung präsidierte Frau Fremer der Unterhaltung, denn sie hatte das Empfinden, eine hohe Mission zu erfüllen. Sie war gewohnt, große Schriftsteller Herzoginnen vorzustellen, und so erschien sie sich selbst wie ein allmächtiger Minister des Äußeren, der selbst in seinen Akten seine königliche Haltung nicht verleugnet. So sieht ein Zuschauer im Theater, während er ruhig verdaut, unter sich (da er ja über sie urteilt) Künstler, Publikum, Autor, Regeln der dramatischen Kunst, Genie. Die Konversation nahm übrigens ihren gemächlichen Gang in aller Harmonie. Jetzt war man zu dem Punkt gekommen, wohin man bei allen Diners kommt, wenn man das Knie der Nachbarin berührt, sie nach ihrem Lieblingsautor fragt, je nach Temperament oder Erziehung, besonders den weiblichen Tischnachbar. Plötzlich schien ein Zwischenfall unvermeidlich. In seinem jugendlichen Leichtsinn hatte der schöne Nachbar von Honoré versucht, alle davon zu überzeugen, daß in den Werken des Heredia vielleicht doch mehr Idee enthalten sei, als man gewöhnlich voraussetzte –und sofort nahmen die Tischgenossen, in ihrer gewohnten Denkweise gestört, ein gereiztes Wesen an. Aber Frau Fremer hatte sofort ausgerufen: – Aber nein, es sind nur bewundernswerte Kameen, es sind prunkvolle Emaillen, fehllose Schmuckstücke«, und schon zeigte sich Befriedigung auf allen Mienen. Eine Unterhaltung über die Anarchisten war schon schwieriger. Aber Frau Fremer neigte sich mit Resignation vor dem natürlichen Schicksalsgesetz und sagte langsam: – Was soll das alles? Es wird immer Reiche und Arme geben.« Und niemand von den Anwesenden, unter denen der Ärmste mindestens hunderttausend Taler Rente hatte, fand sich, von der Richtigkeit dieser Wahrheit betroffen, von seinen Gewissensskrupeln bedrückt, und so leerten alle mit herzlicher Fröhlichkeit ein letztes Glas Champagner.
II
Nach dem Diner
Honoré merkte, daß die vielen Weine seinen Kopf ein wenig verwirrt hatten, er verließ ohne Abschied die Gesellschaft, nahm unten seinen Paletot und ging dann zu Fuß die Champs-Elysées hinab. Er empfand ein außerordentliches Lustgefühl. Die Grenzbarrieren der Unmöglichkeit, die unsere Begierden und Träume vom Felde der Wirklichkeit scheiden, waren gefallen, sein Denken schwebte fröhlich quer durch das Unerfüllbare und steigerte sich an der Lust der eigenen Bewegung.
Es zogen ihn die geheimnisvollen Straßen an, die es zwischen allen menschlichen Wesen gibt und auf denen vielleicht jeden Abend eine ungeahnte Sonne der Freude oder der Trauer zur Rüste geht. Jede Person, an die er dachte, wurde sofort unwiderstehlich sympathisch, er nahm der Reihe nach alle Straßen, wo er eine anzutreffen die Hoffnung hegen konnte; hatte seine Voraussicht sich erfüllt, dann hätte er sich auch dem Unbekannten, dem Gleichgültigen furchtlos genähert, mit einem leichten Zittern. Was er in nächster Nähe an Glück sich aufgerichtet, war zusammengestürzt, aber es breitete sich sein Dasein in der Ferne aus mit allem Zauber des geheimnisvollen Neuen, vor ihm taten sich Landschaften auf wie gastliche Freunde. Sein einziger Kummer war das Bedauern, das alles sei nur die Spiegelung oder die Realität eines einzigen Abends, und so wollte er von jetzt an nichts anderes tun, als immer gut speisen und trinken, um ebenso schöne Dinge immer vor sich zu sehen. Es schmerzte ihn bloß, nicht allsogleich die herrlichen Landschaften im Grenzenlosen ihrer Perspektive erreichen und die Ferne an sein Herz
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