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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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verliert nach und nach seine letzten Farben. Ausgelöscht ist die intensivste Glut seines Laubwerks, das so in Flammen stand, daß man nachmittags und morgens die glorreiche Illusion eines Sonnenuntergangs haben konnte. Als die letzten leuchten noch die Dahlien, die indischen Nelken, die malvenfarbenen, violetten, gelben, weißen und rosenfarbenen Chrysanthemen hier auf dem dunklen, trostlosen Untergrund des Herbstes. Geht man um sechs Uhr abends durch die Tuilerien, so sind sie wie in gleiche Uniform unter dem düsteren Himmel in eintöniges Grau gekleidet und erscheinen nackt, die schwarzen Bäume zeichnen Zweig für Zweig ihre machtvolle und doch zarte Verzweiflung am Himmel ab – plötzlich merkt man aber im reichsten Glanz eine Unmenge von diesen Herbstblumen mitten im halben Dunkel, und unsere Augen, die sich schon an die aschenfarbenen Horizonte gewöhnt haben, werden mit einemmal von diesen wollüstigen Farbenflammen übermannt. Weicher sind die Stunden des Morgens. Noch glänzt manchmal die Sohne, noch kann ich sehen, wenn ich die Terrasse am Wassergestade niedersteige, wie mein Schatten vor mir über die Stufen an der großen steinernen Treppe hinabgleitet. Ich will hier nicht, was andere schon viel besser vor mir getan haben, den großen Namen Versailles aussprechen, mit seinem Altersrost und seiner Süße, den Namen der fürstlichen Gruft des alten Laubwerkes, der weiten Gewässer und der Marmorsteine – den wahrhaft aristokratischen und demoralisierenden Ort, wo uns nicht einmal die beunruhigende Anklage entgegenklingt, das Leben von so vielen arbeitenden Menschen habe nicht so sehr dazu gedient, die Freuden einer alten Zeit zu steigern und zu vertiefen, als vielmehr dazu, die Melancholie unserer Zeit noch melancholischer zu machen. Ich will dich nicht nach soviel anderen noch einmal nennen, Versailles, und doch, wie oft habe ich mich zu dem roten Kelch deiner Wasserbecken aus rosigem Marmor niedergebeugt, um mich bis zur letzten bittersüßen Wonne am Zauber dieser letzten Herbsttage zu berauschen.
    Die Erde ist mit verwelkten und verwesten Blättern übersät, und so scheint sie von ferne ein gelb und violettes, ausgeblaßtes Mosaik. Während ich am Weiler vorbeikomme, stelle ich den Kragen meines Paletots gegen den Wind auf – plötzlich höre ich Tauben gurren. Überall der Duft nach Buchsbaum in seiner berauschenden Würze wie am Palmsonntag. War ich es, der einmal einen kleinen Frühlingsstrauß in diesen Gärten gepflückt hat, die nun der Herbst verstümmelt hat?
    Auf der Wasserfläche scheuchte der Wind die Blumenblätter einer frierenden Rose zusammen. In diesem großen Blätterfall von Trianon war es allein die leichte Kuppel eines kleinen weißen Geranienbeetes, die sich über das vereiste Wasser erhob. Kaum wiegten sich die Blumen im Winde. Wohl weiß ich jetzt, nachdem ich den Wind aus der Ebene und den Salzduft der Hohlwege in der Normandie eingeatmet habe und nachdem ich das Meer durch die Zweige von blühenden Rhododendren habe leuchten sehen – jetzt weiß ich, wie sehr die Nachbarschaft der Gewässer den Zauber der Pflanzenwelt erhöht. Aber die Reinheit dieses süßen weißen Geraniums ist keuscher als die Reinheit einer Jungfrau, denn unbeschreiblich anmutig ist ihre Zurückhaltung, wenn sich das Geranium über die gekräuselten Gewässer niederbeugt, zwischen diesen Ufersteinen, die hoch mit totem Laub bedeckt sind. O silberhaariges Alter der noch grünenden Bäume, o ihr verzweifelten Zweige, Teiche und Wasserläufe, die eine ehrfurchtsvolle Hand hier und dort hingesetzt hat, als Urnen, dargeboten der Schwermut der Bäume!
III
Spaziergang
    Trotz des leuchtend klaren Himmels und der schon warmen Sonne blies der Wind noch so kalt, und die Bäume waren noch so kahl wie im Winter. Um ein Feuer anzuzünden, schnitt ich einen dieser Äste ab; ich hatte ihn abgestorben geglaubt, doch der Saft spritzte hervor, benetzte meine Arme bis zum Ellenbogen und verriet unter der erfrorenen Rinde des Baumes ein stürmisch lebendiges Herz. Der nackte Boden des Winters füllte sich zwischen den Stämmen mit Anemonen, Kuckucksblumen und Veilchen, und die Bäche, die gestern noch dunkel und leer rauschten, leuchteten im Widerschein eines zarten blauen und lebendigen Himmels, der sich bis in die Tiefe darin brüstete. Es war nicht der blasse, ermüdete Himmel der schönen Oktoberabende, der, in den Tiefen des Wassers ausgebreitet, dort vor Liebe und Melancholie zu vergehen schien, nein, es war ein

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