Tage der Freuden
Sturme wie ein Schiff, unsichtbare Segel hört man sich blähen, unsichtbare Fahnen draußen krachend flattern. Du aber laß auf deinen Knien den Strauß frischer Rosen ruhen, laß mich mein Herz ausweinen zwischen deinen eng aneinandergeschlossenen Händen …
XVII
Die Perlen
Ich war morgens heimgekehrt und hatte mich fröstelnd zu Bett gelegt, während mich eine eisige Melancholie bis ins Innerste wahnsinnig erregte. In dieser Stunde standen trennend zwischen mir und dir: deine Freunde von gestern abend – deine Pläne für morgen. – ebenso viele Feinde, ebenso viele Verschwörungen gegen mich – deine Gedanken jetzt, ebensoviel unfaßbare, unerreichbare Gebiete. Jetzt bin ich fern von dir, unvollkommen war deine Gegenwart, eine flüchtige Maske der ewigen Trennung (und doch, wie leicht würden deine Küsse die Maske heben!), und nun scheint mir dies alles doch genug, um mir dein wahres Antlitz zu offenbaren, um alle Wünsche meiner Liebe zu krönen. Man mußte scheiden. In welch eisiger Einsamkeit verbleibe ich fern von dir! Und doch, durch Zauberkraft erneuern sich in trautem Glänze die alten Träume unseres Glücks, sie schweben auf wie eine breite Rauchwolke über einer starken, heißen, hellen Flamme in unzerstörbarer Fröhlichkeit, ohne Unterbrechung erwachen sie zu neuem Leben in meinen Gedanken.
Unter den Decken ist meine Hand warm geworden, und auf ihr ist der Duft der Zigaretten mit Rosenmundstück wiedererwacht, die du mir zu rauchen gegeben hast. Lang atme ich ihn ein, den Mund an meine Hand geschmiegt, und dieser Duft, warm von der Erinnerung, strömt dichte Wolken aus von Zärtlichkeit, von Glück und »Du«. Ach, meine kleine Vielgeliebte, wann kommt der Tag, da ich dich nicht mehr brauche, wo mir die Erinnerung alles Glück bieten kann – jetzt erfüllt diese Erinnerung mein Zimmer ganz –, wenn ich nicht mehr kämpfen muß gegen das unübersteigbare Hindernis deines Körpers. Ich sage es dir in aller Torheit, ich sage es dir, weil ich nicht anders kann: ich kann nicht sein ohne dich. Nur dein Leben gibt dem meinen seine unbeschreibliche Farbe, melancholisch und warm, wie sie es deinen Perlen gibt, die du des Nachts an deiner bloßen Haut trägst. Wie sie lebe ich nur in dir, traurig paßt sich mein Wesen deiner Wärme an, und wie sie muß ich sterben, wenn du mich nicht mehr bei dir behalten willst.
XVIII
Gestade des Vergessens
»Man sagt, der Tod verschöne seine Opfer, er hebe ihre Tugenden ins Licht, aber oft ist es nur das Leben, das sie in den Schatten gestellt hat. Der Tod ist der redliche, der untadelige Zeuge, wenn er gemäß den Gesetzen der Wahrheit und gemäß denen der Nächstenliebe uns beweist, daß meistens das Gute im Menschen sein Böses überwiegt.« Was hier Michelet vom physischen Tode sagt, ist vielleicht wahrer noch in Hinsicht des Todes, der eine große unglückliche Liebe leidenschaftlich beendet. Das Wesen, das uns so viel Schmerz gekostet hat, ist uns nichts mehr, man kann mit dem volksmäßigen Ausdruck sagen, »es ist tot für uns«. Die wirklich Toten beweinen wir, wir lieben sie weiter, wir unterliegen lange noch dem unwiderstehlichen Zauber, der sie überdauert und der uns oft noch zu ihrem Grabe zurückführt. Das Wesen aber, das uns so viel durchkosten ließ und von dessen innerstem Gehalt wir durchtränkt sind, es hat jetzt nicht mehr die Kraft, auch nur den Schatten eines Kummers oder einer Freude auf uns fallen zu lassen. Es ist mehr als tot für uns. Einmal war es uns das Kostbarste auf Erden, dann haben wir es verflucht und verachtet, jetzt ist ein gerechtes Urteil nicht möglich, kaum daß noch die Züge seiner Gestalt sich mit einiger Klarheit vor den Augen unserer Erinnerung abzeichnen, denn diese Augen haben durch die allzulange Betrachtung fast alle Kraft verloren. Dieses Urteil über das geliebte Wesen hat sich so oft gewandelt, so oft hat es durch seine mitleidlose Klarheit unser blindes Herz gequält, so oft haben wir uns selbst die Augen verbunden, um diese grausame Disharmonie zu beenden – nun soll es die letzte Schwingung durchmachen. Wie eine Landschaft, aus der Vogelperspektive gesehen, so erscheint SIE von der Höhe des Verzeihens in ihrer echten Wertung, sie, die »mehr als tot« ist, nachdem sie einst unser wahres Selbst gewesen. Jetzt wissen wir nur, sie hat uns unsere Liebe nicht erwidert, wir verstehen, sie hatte eine wahre Freundschaft für uns. Nicht mehr die Erinnerung ist’s, die sie verschönt, sondern die Liebe war schuld
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