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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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herrschende Erinnerungsgewalt, die uns Gutes wünscht und die noch viel Gutes für uns zu tun im Begriffe ist, mein Lieb!
XXIII
Unterholz
    Wir haben nichts zu fürchten, aber viel zu lernen von dem starken, friedlichen Geschlecht der Bäume, das stärkende Essenzen erzeugt und lindernden Balsam und in deren anmutsvoller Gesellschaft wir so viel frische Stunden in Schweigen und Abgeschiedenheit verbracht haben. Während der brennend heißen Nachmittagsstunden, wenn das Übermaß des Lichtes uns gerade durch seine Überfülle nicht mehr wahrnehmbar wird, da steigen wir in einen normannischen »Grund«, in dem sich mit ihrer ganzen Üppigkeit breite Buchen stolz erheben, deren Laubwerk gleich einem schmalen, aber widerstandsfähigen Uferwall den Ozean des Lichtes zerteilt und zurückwirft und nichts von ihm zurückhält als ein paar Tropfen, die melodisch in die schweigende Finsternis des Unterholzes hinabsintern. Unser Geist hat nicht wie am Ufer des Meeres oder auf den Bergen seine Freude daran, sich auszubreiten über die Erde, dafür aber das Glück, von ihr geschieden zu sein. Von allen Seiten geschützt durch Stämme, die zu entwurzeln keine Menschenhand stark genug ist, schwingt er sich in die Höhe wie die Bäume. Wir liegen auf dem Rücken, das Haupt auf trockene Blätter gebettet; aus dem Schöße einer tiefen Befriedung heraus können wir der fröhlichen Beweglichkeit unseres Geistes folgen, der emporsteigt, ohne auch nur ein Blatt zum Zittern zu bringen, bis zu den höchsten Zweigen, wo er endlich ausruht, am Gestade eines sanften Himmels, nahe einem Vogel, der singt. Hier und da ist ein wenig Sonne gestockt am Fuße der Bäume, die sich wie im Traume die äußersten Enden ihrer Zweige von ihr tränken und vergolden lassen. Alles andere ist erschlafft und unbeweglich, und so schweigt es in stummem Glücke. Hoch aufgeschossen, steil aufgerichtet mit der weit gespannten Opfergebärde ihres Gezweiges und dennoch beruhigt und friedevoll stehen die Bäume da, und durch diese sonderbare und natürliche Haltung laden sie uns unter anmutvollem Rauschen ein, unser Herz einem Leben zu weihen, das so antik, so modern, so verschieden ist von unserem, dessen dunkle, verborgene, unerschöpfbare Hilfsquelle es zu sein scheint.
    Ein leichter Windhauch verwirrt auf eine Sekunde die funkelnde, düstere Starre, schwach beben die Bäume, sie wiegen das Licht auf ihren Wipfeln und bewegen den Schatten zu ihren Füßen.
    Petit-Abbeville (Dieppe), August 1895
XXIV
Die Kastanienbäume
    Vor allem liebe ich es, unter den ungeheuren Kastanienbäumen stehenzubleiben und zu verweilen, wenn sie im Herbste vergilbt sind. Wie viele Stunden habe ich schon in diesen geheimnisreichen grünen Grotten damit verbracht, über meinem Haupte die rauschenden Kaskaden von blassem Gold zu betrachten, wie sie Frische und Schatten spendeten in vollen Zügen. Ich beneide die Rotkehlchen und die Eichhörnchen um ihre zarten, tiefen Zellen im Grün der Zweige, diese antiken hängenden Gärten, die seit zwei Jahrhunderten jeder Frühling neu mit weißen, duftenden Blüten schmückt. Die Zweige sind kaum merklich gekrümmt, in edler Linienführung beugen sie sich vom Stamme zur Erde, als seien es andere Bäume, in dem Stamme gepflanzt und von dort aufwachsend, mit der Krone zur Erde geneigt. Die Blätter, die noch dageblieben waren, ließen durch ihren blassen Schein jetzt besonders deutlich die Äste hervortreten, die, nun entblättert, wuchtiger erscheinen und schwärzer. Und so eng halten und schmiegen sie sich an den Hauptstamm, daß sie wie ein wundervoller Kamm das sanfte, ausgegossene, blonde Haar zurückzuhalten scheinen.
    Reveillon, Oktober 1895
XXV
Meer
    Das Meer wird immer die Art Menschen faszinieren, bei denen Lebensüberdruß und magnetische Anziehungskraft des Mysteriums dem ersten Kummer noch zuvorgekommen sind, als seien das Ungenüge alles Wirklichen und seine Ohnmacht vorausgeahnt. Diese Art braucht Ruhe, bevor sie noch die Ermattung richtig empfunden hat, und das Meer wird sie trösten, es wird sie heben, wer weiß wohin?
    Es trägt nicht wie die Erde die Spuren menschlicher Arbeit, menschlichen Daseins. Nichts hat seine Stätte hier, bleibend ist nur das Flüchtige, und wenn Barken das Meer durchqueren, wie schnell ist die Schaumspur verschwunden. Diese hohe Keuschheit hat nur das Meer, die Dinge der Erde besitzen sie nicht. Dieses ewig jungfräuliche Wasser ist viel zarter als die verhärtete Erde, die einer Hacke bedarf, will man sie

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