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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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gar nicht, dass du das kannst«, sagt sie.
    »Tja … was weiß man schon.«
    »Was wird das denn?«, fragt sie und deutet auf das Stück Stoff.
    »Weiß ich noch nicht«, sage ich und mache Kaffee, heißes Wasser, Pulver rein, und serviere ihr das letzte von meinen Käse-Schinken-Sandwiches, man will ja guter Gastgeber sein, muss ja alles seine Ordnung haben. Mari hat sich inzwischen vom Bett zwei Meter weiterbewegt und sitzt auf dem Stuhl vor dem Computer und betrachtet den Bildschirm, in Gedanken versunken, wie mir scheint.
    »Was ist eigentlich mit dem Fernseher passiert?«, fragt sie, und ich folge ihrem Blick in die Ecke, in den hintersten Winkel des verdammten Zimmers, in dem der Fernseher steht. Dunkel. Tot. Eine Fernseher-Ruine, denke ich und lächle offensichtlich, denn Mari fragt, warum ich lächle.
    »Kaputt«, sage ich.
    Sie nickt.
    »Deaktiviert«, sage ich.
    »Aha«, sagt sie. Wird sie nicht verstehen, kann sie nicht, muss sie nicht. Holt man ein Sandwich aus dem Kühlschrank, und schon hat Schwesterherz mit Blicken das Zimmer durchmessen. Fucking NÄHMASCHINE , den Fernseher, den Computer. Ist aber nichts drauf, was dich interessieren müsste. Schwesterherz.
    »Fernsehen ist out«, sage ich. »Leute von heute schauen live im Internet. Da laufen die Nachrichten schon, bevor sie passieren. Musst du mal drauf achten. Musst du mal machen. Nachrichten werden nicht mehr vermeldet, es wird nur noch auf den Ort verwiesen, an dem die Nachricht in Kürze schon Geschichte sein wird, alles vernetzt, kurze Wege, die Welt ein Dorf, wird nur noch auf www.geilenachricht.com verwiesen, und das war’s.«
    Mari nickt, lächelt. Der kleine Monolog hat Kraft gekostet, erst mal Atem holen. Mari läuft zurück zum Bett, setzt sich und nimmt etwas aus ihrer Tasche. Himbeerbonbons. Mit Schokolade überzogen, von Fazer. Lange nicht gegessen.
    »Kleines Geschenk«, sagt sie und reicht mir die Tüte. Meine Lieblingsbonbons, eine Erinnerung wird wach, die ich nicht greifen kann, eine lange vergangene Zeit, Kindheit genannt, meine Schwester schenkt mir Bonbons, die ich gemocht und lange nicht gegessen habe.
    Die Tüte in meiner Hand wiegt bleischwer. Ich suche Maris Blick, aber nur, um sofort auszuweichen. Jetzt kommt die Erinnerung näher, aber Mari ist gar nicht darin … schöner Tag, sonnig und warm, nach der Schule. Esko Nurminen aus der Oberstufe nimmt mir die Tüte aus der Hand. Beginnt, die Bonbons zu essen, eines nach dem anderen, zelebriert das Öffnen jeder einzelnen Verpackung, lässt es sich auf der Zunge zergehen, und als ich nach der Tüte greife, packt er meinen Arm, zerrt mich auf den Boden und drückt auf meiner Hand eine Zigarette aus. Im Hintergrund kichern die Fotzen aus meiner Klasse.
    Davon weiß Mari nichts. Kann nichts davon wissen, weil ich es nie erzählt habe. Aber sie sieht mich prüfend an.
    »Danke«, sage ich und lege die Tüte mit den Bonbons auf dem Tisch ab. Der Schmerz ist zurück, ein brennender, unvergleichlicher Schmerz. Ein Schmerz, der von der Hand in den Körper und unter die Stirn fährt, in Lichtgeschwindigkeit.
    Wir sitzen uns gegenüber, lange. Mari scheint keine Fragen mehr zu haben. Sie isst das Sandwich und schweigt. Die Distanz zwischen uns wird größer, und als sie geht, trennen uns endlich wieder Welten.
    Das Bett habe ich schon gesaugt und gesäubert, die Bonbons in den Kühlschrank gelegt, ins Gefrierfach, der Schmerz kühlt ab.

MÄRZ
12
    Als sie wieder im Speisewagen saßen, glitt die gleiche Landschaft vorüber, nur die Richtung war eine andere. Der Nebel wich klaren Konturen, durch die Wolken brach die Sonne, und Bergenheim erhielt einen Anruf, der ihn zu beunruhigen schien.
    Markkanen hob die Augenbrauen, schien aber wesentlich entspannter zu sein als am Tag zuvor, und Markus Sedin musste einige Sekunden lang nachdenken, bevor ihm bewusst wurde, was anders war. Markkanens Laptop fehlte, mit den minütlich abstürzenden Präsentationen.
    »Ja«, sagte Bergenheim zu seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung. »Wir bleiben cool und warten. Ich rede mit Markus Sedin. Ja, der sitzt mir genau gegenüber und schlürft Kaffee. Ja. Am späten Nachmittag sind wir zurück, und dann lösen wir das.« Er unterbrach die Verbindung und lehnte sich zurück.
    »Was Wichtiges?«, fragte Markkanen.
    »Kesken OY . Die Fusion scheint zu platzen«, sagte Bergenheim, und Sedin dachte an das geöffnete Fenster, an den lauen Wind, der hereingeweht war, an den Zettel, der ein wenig

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