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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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beugte sich hinunter, um seinen Sohn fest an sich zu drücken.
    »Morgen war schön!«, rief Ville.
    Sedin richtete sich wieder auf und dachte über die Worte nach, die Ville gesprochen hatte, ohne den Widersinn ganz greifen zu können.
    »Das geht schon seit Stunden so«, sagte Taina, die auf der Schwelle zur Küche stand, gegen die Tür gelehnt. Abwartend, dachte Sedin. Oder gar nichts erwartend. Auf jeden Fall nicht näher kommend.
    »Hm?«, fragte er.
    »Villes neuester Spaß am Unsinn. Morgen war schön. Letztes Jahr wird noch besser.«
    »Ach so«, sagte Sedin, obwohl ihm erst allmählich der Witz dämmerte. Vergangenes ist … und Zukunft war …
    »Ach so«, sagte er noch mal.
    »Vor hundert Jahren ist super«, sagte Ville. »Und übermorgen war ganz, ganz schlecht.« Er hob den Zeigefinger, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen.
    »Ist es möglich, dass der Sohn zweier Banker ein Philosoph oder so was wird?«, fragte Sedin, und Taina lächelte, aber still und freudlos.
    »Mit Philosophie hat das wenig zu tun«, sagte sie.
    »Ach ja? Und womit dann?«
    Sie winkte ab. Schien über etwas nachzudenken, etwas, das sie sagen wollte, aber dann drehte sie sich wortlos um und ging ins Wohnzimmer. Sedin folgte ihr und sah ihr dabei zu, wie sie sich aufs Sofa sinken ließ.
    »Wie … geht’s dir denn?«, fragte er.
    »Besser«, sagte sie. »Stabil.«
    Er nickte und sah sie einige Sekunden lang an, betrachtete ihre geschlossenen Augen, bevor er sich abwendete. Ville stand in der Küche auf einem Stuhl und schien ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten zu sein bei dem Versuch, Süßigkeiten aus einem der Regale über der Spüle zu ziehen.
    »Vorsicht«, sagte Sedin.
    »Geht schon«, sagte Ville.
    »Jetzt ist auch langsam Zeit zu schlafen«, sagte Sedin.
    »Ja, ja«, sagte Ville.
    »Und Zähne putzen.«
    »Habe ich schon.«
    »Dann stimmt die Reihenfolge nicht.«
    Ville sah ihn fragend an.
    »Die Reihenfolge stimmt nicht. Erst Zähne putzen, dann Lakritz essen?«
    »Oh«, sagte Ville, schmatzte aber genüsslich weiter.
    »Auf geht’s. Ab ins Bett«, sagte Sedin. »Und vorher noch mal Zähne putzen.«
    Ville aß noch zwei Lakritzstangen, bevor er die Treppe nach unten schlurfte, in sein von Star-Wars-Plakaten dominiertes Kinderreich, und Sedin stand im Flur und hörte unten im Bad leise das Wasser rauschen, während er sich auf die Stille zu konzentrieren versuchte, die aus dem Wohnzimmer drang.
    »Ich bringe dann mal Ville ins Bett«, rief er und glaubte, ein leises »ja, mach das« zu hören.
    Dann saß er an Villes Bett und las eine Geschichte, die sich Das Verhängnis der Jedi-Ritter nannte und der er nicht ganz folgen konnte. Aber Ville schien keinerlei Probleme damit zu haben und gähnte noch einmal herzhaft und zufrieden, bevor er einschlief, und als Markus Sedin wieder nach oben kam, war auch Taina im Wohnzimmer eingeschlafen.
    Er stand für eine Weile unschlüssig, dann ging er leise an der schlafenden Taina vorbei, öffnete die Terrassentür und lief durch den Garten zum Pool, setzte sich an den Rand. Die Plane, die das Becken bedeckte, schimmerte im Mondlicht, und die Ziffern verschwammen vor seinen Augen, als er sie eintippte. Er wartete.
    »Réka«, sagte sie.
    »Markus hier«, sagte er. »Von gestern.«
    Markus von gestern, dachte er, wie idiotisch, und er hörte ihr Lachen, ein helles Lachen, das durch die Leitung direkt in seine Ohren drang.
    »Ich … wollte mich nur mal melden«, sagte er.
    »Gut«, sagte sie.
    »Mal hören …«
    »Sehr gut«, sagte sie.
    »Ja. Ich wollte … dir einfach gute Nacht wünschen.«
    »Ja«, sagte sie. »Dann schlaf schön.«
    »Du auch.«
    Dann saß er allein vor dem Pool, in dem kein Wasser war, aber der Sommer würde schon noch kommen. Das erschien ihm plötzlich recht sicher.
    Ähnlich sicher wie Villes Prognose, dass gestern besser werden würde als morgen je gewesen war.

MAI
14
    Kimmo Joentaa und Lasse Ekholm saßen lange im Wohnzimmer, auf dem Sofa, ohne zu sprechen, und irgendwann nahm Ekholm eine der Tassen, die auf dem Tablett standen, und trank.
    »Kalt«, sagte er, als er die Tasse wieder auf dem Tisch abstellte. »Der Kaffee ist kalt geworden. Vielleicht … sollte ich doch eine der Tabletten nehmen …«
    »Ich hole sie«, sagte Joentaa und ging in die Küche, erleichtert, für Momente das Gefühl zu haben, etwas tun zu können. Er nahm die Tabletten, aber als er zurückkehrte, stand Ekholm schon am Fuß der Treppe, bereit, nach oben zu gehen.

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