Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
sich die Szene vor. Wie er sich mit Réka am Tisch von Bergenheim und Markkanen niederließ, einen schönen guten Morgen wünschend.
»Nee, nee«, sagte sie. »Erst mal schlafen.« Sie drehte sich auf die Seite und schien schon wieder eingeschlafen zu sein, während Sedin sich die Kleider anzog. Er trat noch einmal vorsichtig ans Bett heran, bevor er ging. Réka lag auf der Decke statt darunter, atmete regelmäßig und schnurrte wie eine Katze.
»Bis bald«, flüsterte er und fuhr mit der Hand leicht über ihren Rücken. Dann hing er das Bitte-nicht-stören -Schild an die Tür, ging durch den Flur zum Aufzug und fuhr hinunter. Bevor er den Frühstücksraum betrat, hörte er schon das aufgeräumte, gemäßigte Gemurmel von Menschen, die wieder auf den Modus des Alltags umgeschaltet hatten. Er kannte die Gesichter, nur die fremde Umgebung schien alle in eine schiefe Ebene hineinversetzt zu haben.
Treffen sich finnische Banker in Belgien am Meer, dachte er, und dann fiel ihm auf, dass Réka gar nicht gefragt hatte, woher er komme. Was er mache. Wer er sei.
Er lächelte, der Gedanke gefiel ihm, er wusste nicht genau, warum, und er nahm eine Schüssel, um sie mit Cornflakes und Milch zu füllen. Erst als er auf Bergenheim, Markkanen und den Jungen aus der Asienabteilung zuging, die an einem Tisch am Fenster saßen, fragte er sich, was er mit Cornflakes wollte. Er aß nie Cornflakes. Ville aß Cornflakes zum Frühstück, aber er nicht.
»Wohl bekomm’s, mein Lieber«, sagte Bergenheim, offenbar bestens gelaunt und ausgeschlafen. Sedin setzte sich und betrachtete seine Flakes. Der schlanke Bergenheim aß Rührei mit Bacon, der korpulente Markkanen einen Obstquark, und der schmale Junge aus der Asienabteilung hatte entweder nichts gegessen oder sein Frühstück bereits beendet. Er saß neben Markkanen und blickte durchs Fenster auf die verschneite Promenade und auf das Meer, das still tosend im Nebel lag.
»Ziemlich windig heute«, sagte Bergenheim.
Sedin nickte.
»Gut geschlafen?«, fragte Bergenheim
»Passt schon«, sagte er.
»Ging da was?«, fragte Bergenheim.
Sedin hob den Blick.
»Mit der Discotussi«, präzisierte Bergenheim.
Eine Kellnerin brachte Kaffee.
»Ach so …«, sagte Sedin. Er winkte ab und empfand die Geste im selben Moment als unangenehm und unangemessen, als Verrat. Er goss Kaffee ein, gab Milch und Zucker dazu und führte die Tasse zum Mund. Er spürte den Bodensatz, die Süße, an den Lippen und auf der Zunge und folgte dem Blick des Jungen aus der Asienabteilung nach draußen, auf den Schneestrand, an dem, wenn man De Vries glauben durfte, vor wenigen Tagen erst ein Mann erfroren war.
Was es noch nie gegeben hatte, noch nie.
Als er ins Zimmer zurückkehrte, war Réka schon gegangen. Das Fenster war geöffnet, und Sedin stellte sich vor, dass sie sich federleicht abgestoßen hatte und weggeflogen war, und der Zettel, der auf dem Nachttisch lag, flatterte ein wenig im Wind, der ins Zimmer hereinwehte.
Er betrachtete die Zahl, die auf dem Zettel stand, eine lange Zahl, die durchaus eine Wertpapierkennnummer hätte sein können oder auch ein Bruchteil des Verlusts, den Sedin im vergangenen Jahr mit seinem Fond erwirtschaftet hatte, trotz gegenteiliger Schönrechnungen und Schutzbehauptungen von Bergenheim und De Vries und anderen Verrückten, die glaubten, eine Welt gehe erst unter, wenn sie ihren Segen dazu gaben. Aber das war nicht wichtig, denn die Zahl auf dem Zettel war nichts dergleichen, sondern, aller Wahrscheinlichkeit nach, eine Telefonnummer. Eine Telefonnummer, die zu dem Namen passte, der neben der Nummer stand, geschrieben in einer auffällig asymmetrischen, unbeholfenen Schrift.
Réka.
Das einzige Wort, das sie schreiben und lesen konnte. Wenn man ihr glauben durfte.
Mit einem Strich über dem e.
IN EINER ANDEREN ZEIT, AN EINEM ANDEREN ORT
11
Am Abend kommt Mari. Schwesterherz. Steht in der Tür, uneingeladen. Uninvited guest. Ich bin zu verwirrt, um reagieren zu können. Stehe nur so da, bis sie fragt, ob ich sie nicht hereinbitten möchte. Möchte ich nicht, aber dann sitzt sie trotzdem auf meinem Bett und schaut sich die fucking Nähmaschine an.
Dann lächelt sie und fragt, was ich da mache.
»Hm? Ach so«, sage ich.
»Mit der Nähmaschine«, sagt sie.
»Was basteln«, sage ich.
»Ok«, sagt sie.
»Also … was nähen. Deshalb nennt sich das Ding auch Nähmaschine.«
Sie sieht mich an. Und dann den Stoff, der in die Maschine eingespannt ist.
»Ich wusste
Weitere Kostenlose Bücher