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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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sahen. Ein paar Steine wurden ihm nachgeworfen, aber keiner verfolgte ihn - sie
    glaubten zweifellos, daß er nur zu fliehen versuche, und in dem klaren Mondlicht konnten sie sehen, daß es nicht Ellis war. Im nächsten Moment hatte er sich durchs Gebüsch geschlagen und war im Wasser.
    Er sank tief unter, und der gräßliche Flußschlamm nahm ihn auf und sog ihn knietief ein, so daß er mehrere Sekunden
    brauchte, um sich zu befreien. Als er hochkam, schwappte ihm ein lauwarmer Schaum wie der Schaum auf Bier um die Lippen, und irgend etwas Schwammiges war ihm in den Hals gekommen
    und drohte ihn zu ersticken. Es war ein Zweig von einer
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    Wasserhyazinthe. Er vermochte ihn auszuspucken und sah, daß die starke Strömung ihn schon zwanzig Meter weit getragen
    hatte. Burmanen rannten schreiend ziemlich ziellos am Ufer auf und ab. Mit seinen Augen auf der Höhe des Wasserspiegels
    konnte Flory die den Club belagernde Menge nicht sehen; aber er konnte ihr tiefes, teuflisches Gebrüll hören, das hier noch lauter klang als an Land. Als er auf der Höhe der Militärpolizei war, war kaum noch jemand am Ufer zu sehen. Er brachte es
    fertig, sich aus der Strömung herauszukämpfen und durch den Schlamm zu tappen, der ihm seinen linken Strumpf vom Fuß
    sog. Ein Stückchen uferabwärts saßen zwei alte Männer an
    einem Zaun und spitzten Zaunpfähle an, als hätte im Umkreis von hundert Meilen kein einziger Aufstand getobt. Flory kroch an Land, kletterte über den Zaun und lief mit hängenden nassen Hosen schwerfällig über den mondhellen Exerzierplatz. Soweit er bei dem Lärm unterscheiden konnte, waren die Baracken
    ganz leer. In einigen Boxen zur Rechten stampften Verralls Pferde in panischer Angst. Flory rannte auf die Straße und sah, was geschehen war.
    Die ganze Polizeitruppe, Militär und Zivil, insgesamt etwa hundertfünfzig Mann, hatte, nur mit Knüppel bewaffnet, die Menge von hinten angegriffen. Sie waren völlig untergegangen.
    Die Menge war dicht, wie ein riesiger gärender rotierender Bienenschwarm, und überall waren Polizisten zu sehen, die
    hilflos zwischen burmanischen Horden eingekeilt waren und
    wütend, aber nutzlos kämpften, zu sehr eingepfercht, um ihre Knüppel auch nur zu heben. Menschenhaufen waren
    Laokoonartig in die Falten aufgerollter Pagris verwickelt.
    Fluchendes Gebrüll in drei oder vier Sprachen, Staubwolken und ein erstickender Gestank nach Schweiß und Ringelblumen - aber niemand schien ernstlich verletzt zu sein. Wahrscheinlich hatten die Burmanen keinen Gebrauch von ihren Dahs gemacht aus Angst, damit Gewehrfeuer zu provozieren. Flory drängte sich in die Menge hinein und wurde sofort wie die anderen
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    verschlungen. Ein Meer von Körpern umdrängte ihn und warf
    ihn von einer Seite zur anderen, stieß ihn in die Rippen und drohte ihn mit seiner animalischen Hitze zu ersticken. Er
    kämpfte weiter mit dem Gefühl zu träumen, so absurd und
    unwirklich war die Situation. Der ganze Aufstand war von
    Anfang an lächerlich gewesen, und das Lächerlichste von allem war, daß die Burmanen, die ihn hätten töten können, nicht
    wußten, was sie mit ihm anfangen sollten, jetzt, wo er mitten unter ihnen war. Manche schrien ihm Beleidigungen ins
    Gesicht, manche beutelt en ihn und traten ihm auf die Füße, manche versuchten sogar, ihm, dem weißen Mann, Platz zu
    machen. Er wußte nicht genau, ob er um sein Leben kämpfte
    oder sich nur den Weg durch die Menge bahnte. Eine ganze
    Zeitlang war er eingequetscht, hilflos, seine Arme an die Seiten gepreßt, dann wieder rang er mit einem gedrungenen Burmanen, der viel stärker war, dann wälzte sich ein Dutzend Männer wie eine Woge ihm entgegen und drängte ihn tiefer ins Herz der Menge. Plötzlich fühlte er einen qualvollen Schmerz in seinem rechten großen Zeh - jemand in Stiefeln war darauf getreten. Es war der Subahdar der Militärpolizei, ein Rajput, sehr dick, mit Schnurrbart und ohne Pagri. Er packte einen Burmanen bei der Kehle und versuchte ihm das Gesicht zu zerschlagen, während der Schweiß von seinem bloßen, kahlen Kopf rollte. Flory warf den Arm um den Hals des Subahdars, und es gelang ihm, ihn
    von seinem Gegner wegzureißen und ihm ins Ohr zu brüllen.
    Sein Urdu ließ ihn im Stich, und er brüllte auf burmanisch:
    »Warum gebt ihr nicht Feuer?«
    Eine lange Weile konnte er die Antwort des Mannes nicht
    hören. Dann verstand er ihn:
    »Hukm ne aya« - »Ich habe keinen Befehl.«
    »Idiot!«
    In diesem Augenblick wurde

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