Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
Vom Netzwerk:
haben Streit wegen ein paar Goldreifen, die sie gestohlen haben. Und dann ist da noch ein junges Bauernmädchen mit einem
    Säugling.«
    »Was will sie?« fragte U Po Kyin.
    »Sie sagt, das Kind wäre von Ihnen, Heiligster.«
    »Aha. Und wieviel hat der Dorfälteste mitgebracht?«
    Ba Taik glaubte, es seien nur zehn Rupien und ein Korb
    Mangopflaumen.
    »Sag dem Ältesten«, sagte U Po Kyin, »es müssen zwanzig
    Rupien sein, und wenn das Geld nicht bis morgen hier ist,
    werden er und sein Dorf es bereuen. Die anderen werde ich
    später empfangen. Jetzt soll Ko Ba Sein zu mir hereinkommen.«
    Ba Sein erschien sogleich. Er war ein aufrechter,
    schmalschultriger Mann, sehr groß für einen Burmanen, und
    hatte ein merkwürdig glattes Gesicht, das an Mokka-Creme
    denken ließ. Für U Po Kyin war er ein nützliches Werkzeug.
    Phantasielos und fleißig, war er ein ausgezeichneter
    Angestellter, und Mr. Macgregor, der amtierende Kommissar, vertraute ihm die meisten seiner dienstlichen Geheimnisse an. U
    Po Kyin, den seine Gedanken in gute Laune versetzt hatten, begrüßte Ba Sein lachend und wies auf das Betelkästchen.
    -8-
    »Nun, Ko Ba Sein, wie geht unsere Angelegenheit voran? Ich hoffe, daß sie, wie unser lieber Mr. Macgregor sagen würde«, -
    U Po Kyin ging plötzlich zum Englischen über -
    »bemerkenswerte Fortschritte macht?«
    Ba Sein lächelte nicht über den kleinen Scherz. Während er sich steif und langrückig in den freien Sessel setzte, antwortete er:
    »Ausgezeichnet, Sir. Unsere Zeitung ist heute morgen
    gekommen. Wenn Sie freundlicherweise sehen wollen ...«
    Er zog eine Nummer einer zweisprachigen Zeitung namens
    Burma-Patriot heraus. Sie war ein erbärmlicher, acht Seiten umfassender Fetzen, auf löschblattartigem Papier miserabel gedruckt, und bestand teils aus Nachrichten, die von der
    Ranguner Gazette gestohlen waren, teils aus schwächlichen nationalistischen Heldentaten. Auf der letzten Seite waren die Typen verrutscht, so daß sie von oben bis unten kohlschwarz war, als trüge die Zeitung Trauer wegen ihrer geringen Auflage.
    Der Artikel, dem U Po Kyin sich nun zuwandte, war in einer anderen Type gesetzt als der übrige Text. Er lautete:
    In dieser glücklichen Zeit, da wir armen Schwarzen durch die mächtige westliche Zivilisation mit ihren mannigfaltigen Wohltaten wie Kinematograph, Maschinengewehre, Syphilis usw. einen ungeahnten Aufstieg genießen, welches Thema könnte da interessanter sein als das Privatleben unserer europäischen Wohltäter? Wir glauben darum, daß es unsere Leser vielleicht interessieren wird, etwas über die Vorgänge in dem binnenländischen Distrikt von Kyauktada zu hören.
    Besonders von Mr. Macgregor, dem ehrenwerten Kommissar besagten Distrikts.
    Mr. Macgregor gehört zum Typ des vornehmen alten
    englischen Gentleman, für den wir, in dieser glücklichen Zeit, so viele Beispiele vor Augen haben. Er ist ein »Familienmensch , wie unsere lieben englischen Vettern sagen. Er ist sogar in
    -9-
    höchstem Maße ein Familienmensch « , denn er hat im Distrikt Kyauktada, wo er ein Jahr lang war, drei Kinder, und in Shwemyo, seinem letzten Distrikt, sechs kleine Nachkommen hinterlassen. Vielleicht ist es Mr. Macgregor versehentlich entgangen, daß er diese kleinen Kinder völlig unversorgt zurückgelassen hat und daß einige ihrer Mütter dem
    Hungertode nahe sind usw. usw. usw.
    In diesem Ton ging es noch eine Spalte lang weiter, und so jämmerlich es war, so war es doch über den übrigen Inhalt der Zeitung hoch erhaben. U Po Kyin las den Artikel, den er auf Armeslänge von sich abhielt - er war weitsichtig -, sorgfältig durch, schürzte nachdenklich die Lippen und entblößte eine große Anzahl tadelloser kleiner Zähne, die vom Betelsaft blutrot gefärbt waren.
    »Der Redakteur wird sechs Monate Gefängnis dafür kriegen«, sagte er schließlich.
    »Das stört ihn nicht. Wie er sagt, ist die Zeit im Gefängnis die einzige, wo er vor seinen Gläubigern sicher ist.«
    »Und du sagst, dein kleiner Lehrling Hla Pe hat diesen Artikel ganz allein geschrieben? Ein sehr gescheiter Bursche - ein höchst vielversprechender Bursche! Erzähl mir nie wieder, daß diese staatlichen höheren Schulen Zeitverschwendung sind. Hla Pe wird bestimmt seinen Angestelltenposten bekommen.«
    »Dann glauben Sie also, Sir, daß dieser Artikel genügen
    wird?«
    U Po Kyin antwortete nicht sofort. Ein schnaufendes,
    gequältes Geräusch ging von ihm aus; er versuchte sich von seinem Sessel zu

Weitere Kostenlose Bücher