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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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vielleicht lag ihr nur daran, die Szene zu beenden, und sie sagte:
    »Also gut, wenn Sie mich absolut dazu zwingen, davon zu
    sprechen -«
    »Ja?«
    »Ja?«
    »Ich habe gehört, daß Sie zur selben Zeit, als Sie so taten - na ja, als Sie ... mit mir zusammen waren - ach nein, es ist zu gemein! Ich kann nicht davon sprechen.«
    »Sprechen Sie weiter.«
    »Ich habe gehört, daß Sie sich eine burmanische Frau halten.
    Und würden Sie mich jetzt bitte vorbeilassen?«
    Damit segelte sie - es gab kein anderes Wort dafür - segelte sie mit einem Schwung ihrer kurzen Röcke an ihm vorüber und verschwand im Spielzimmer. Und er blieb zurück und sah ihr nach, zu entsetzt, um zu sprechen, unaussprechlich lächerlich.
    Es war grauenvoll. Jetzt konnte er ihr nicht ins Gesicht sehen.
    Er wandte sich um, wollte hinauseilen, wagte dann nicht einmal, an der Tür zum Spielzimmer vorbeizugehen, aus Furcht, daß sie ihn sähe. Er ging in den Salon und überlegte, wie er entkommen könnte, kletterte schließlich über die Verandabrüstung und ließ sich auf den kleinen Rasenstreifen fallen, der zum Irawadi hinunterführte. Der Schweiß rann ihm von der Stirn. Er hätte vor
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    Wut und Kummer schreien können. So ein verwünschtes Pech!
    Bei so etwas ertappt zu werden! »Eine burmanische Frau
    halten« - und es stimmte nicht einmal! Aber was würde es für einen Zweck haben, es abzuleugnen. Ach, durch welchen
    verdammten, bösen Zufall mochte es ihr zu Ohren gekommen
    sein?
    Es war aber kein Zufall, sondern hatte eine vollkommen
    vernünftige Ursache, die auch die Ursache für Mrs.
    Lackersteens merkwürdiges Benehmen im Club war. Am
    gestrigen Abend, unmittelbar vor dem Erdbeben, hatte Mrs.
    Lackersteen in der Zivilliste gelesen. Die Zivilliste (aus der man das genaue Einkommen jedes Beamten in Burma erfährt) war
    eine Quelle unerschöpflichen Interesses für sie. Sie war mitten im Addieren des Gehalts und der Zuschüsse eines Waldhüters, den sie einmal in Mandalay kennengelernt hatte, als ihr einfiel, den Namen von Leutnant Verrall nachzuschlagen, der, wie sie von Mr. Macgregor gehört hatte, morgen mit hundert
    Militärpolizisten in Kyauktada ankommen sollte. Als sie den Namen fand, stieß sie auch auf zwei Wörter davor, die sie fast um den Verstand brachten.
    Die Wörter hießen ›Der Ehrenwerte‹!
    Der Ehrenwerte. Leutnants mit dem Titel ›Der Ehrenwerte‹
    sind überall selten, selten wie Diamanten in der indischen Armee, selten wie Dodos in Burma. Und wenn man die Tante
    des einzigen heiratsfähigen jungen Mädchens im Umkreis von fünfzig Meilen ist und hört, daß ein Leutnant mit dem Titel ›Der Ehrenwerte‹ schon morgen kommen soll - also! Zu ihrem Ärger fiel es Mrs. Lackersteen ein, daß Elizabeth mit Flory draußen im Garten war - mit diesem versoffenen elenden Flory, dessen Monatsgehalt kaum siebenhundert Rupien betrug und der sehr wahrscheinlich, nur zu wahrscheinlich, schon drauf und dran war, um sie anzuhalten! Sie beeilte sich unverzüglich, Elizabeth hereinzurufen, aber dann kam das Erdbeben dazwischen. Auf
    dem Heimweg jedoch ergab sich eine Gelegenheit, Mrs.
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    Lackersteen legte die Hand zärtlich auf Elizabeths Arm und sagte in dem zärtlichsten Ton, den sie je hervorgebracht hatte:
    »Du weißt natürlich, meine liebe Elizabeth, daß Flory sich eine burmanische Frau hält?«
    Einen Augenblick platzte diese Bombe tatsächlich nicht.
    Elizabeth waren die Landessitten so neu, daß die Bemerkung keinen Eindruck auf sie machte. Es klang kaum
    bedeutungsvoller für sie als ›sich einen Papagei halten‹.
    »Sich eine burmanische Frau hält? Wofür?«
    »Wofür? Mein Liebes! wofür hält ein Mann sich eine Frau?«
    Na ja, und das war’s.
    Lange stand Flory am Flußufer. Der Mond war aufgegangen
    und spiegelte sich im Wasser wie ein breites Schild. Die Kühle der Außenluft hatte Florys Stimmung verändert. Er hatte nicht einmal das Herz, noch länger wütend zu sein. Denn mit der
    tödlichen Selbsterkenntnis und Selbstverachtung, die einen bei solchen Gelegenheiten überkommen, hatte er begriffen, daß ihm nur recht geschehen war. Einen Augenblick schien ein endloser Zug von burmanischen Frauen, ein Geisterregiment, im
    Mondschein an ihm vorbeizumarschieren. Himmel, wie viele es waren! Tausend - nein, aber mindestens hundert. »Augen
    rechts!« dachte er niedergeschlagen. Ihre Köpfe drehten sich ihm zu, aber sie hatten keine Gesichter, nur Scheiben ohne Gesichtszüge. Er erinnerte sich hier an einen

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