Tage in Burma
war dasselbe, das sie ihm vor zehn Tagen
gestohlen hatte.
Am Tor warf er einen Blick zurück. Ma Hla May stand noch
unten am Abhang, ein graubleiches Figürchen im Mondlicht.
Sie mußte ihm nachgesehen haben, wie er hinaufging, wie ein Hund, der einem verdächtigen Fremden nachsieht, bis er nicht mehr zu sehen ist. Es war sonderbar. Ein Gedanke ging ihm
durch den Kopf wie schon vor ein paar Tagen, als sie ihm den erpresserischen Brief geschickt hatte: ihr Benehmen war
merkwürdig und anders als sonst gewesen. Sie bewies eine
Zähigkeit, deren er sie nicht für fähig gehalten hätte - fast so, als würde sie von jemand angetrieben.
XVIII
Nach dem Krach am Vorabend freute Ellis sich auf eine
Woche, in der er Flory zusetzen würde. Er hatte ihm den
Spitznamen Bubi gegeben - kurz Nigger-Bubi, aber das wußten die Damen nicht - und erfand bereits wilde Skandalgeschichten über ihn. Ellis erfand immer Skandale über jeden, mit dem er sich gezankt hatte - Skandale, die sich bei wiederholten
Ausschmückungen zu einer Art Saga auswuchsen. Florys
unvorsichtige Bemerkung, daß Dr. Veraswami ein ›verdammt
netter Bursche‹ sei, schwo ll binnen kurzem zu einer Fülle von
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lästerlichen und aufrührerischen Reden an, die für einen ganzen Daily Worker ausgereicht hätten.
»Auf meine Ehre, Mrs. Lackersteen«, sagte Ellis - Mrs.
Lackersteen hatte, nachdem sie das große Geheimnis um Verrall entdeckt hatte, eine plötzliche Abneigung gegen Flory gefaßt und war durchaus bereit, sich Ellis’ Geschichten anzuhören -
»auf meine Ehre, wenn Sie gestern abend hier gewesen wären und gehört hätten, was dieser Flory gesagt hat - also, es hätte Sie schaudern gemacht!«
»Wirklich! Wissen Sie, ich fand immer, daß er so
merkwürdige Ideen hat. Wovon hat er jetzt wieder geredet?
Hoffentlich doch nicht über Sozialismus?«
»Schlimmer.«
Es folgten ausführliche Schilderungen. Doch zu Ellis’
Enttäuschung war Flory gar nicht in Kyauktada geblieben, um sich ködern zu lassen. Er war am Tage nach seiner Abfuhr bei Elizabeth ins Lager zurückgekehrt. Elizabeth vernahm die
meisten Skandalgeschichten. Sie verstand seinen Charakter jetzt voll und ganz. Sie verstand, warum er sie so oft gelangweilt und gereizt hatte. Er war ein Intellektueller - die tödlichste Verurteilung, die sie kannte -, ein Intellektueller, von derselben Sorte wie Lenin, A. J. Cook und die dreckigen kleinen Dichter in den Cafés am Montparnasse. Sie hätte ihm sogar seine
burmanische Mätresse leichter verzeihen können als das. Flory schrieb ihr drei Tage später; einen schwachen, geschraubten Brief, den er durch Boten schickte - sein Lager war einen Tagesmarsch von Kyauktada entfernt. Elizabeth antwortete
nicht.
Zum Glück war Flory gegenwärtig zu beschäftigt, um
nachzudenken. Das ganze Lager stand seit seiner langen
Abwesenheit auf dem Kopf. An die dreißig Kulis fehlten, der kranke Elefant war kränker denn je, und große Stapel von
Teakholzstämmen, die vor zehn Tagen hätten abgeschickt
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werden sollen, warteten noch immer, weil die Lokomotive nicht ging. Flory, in technischen Dingen unbeholfen, kämpfte mit den Innereien der Maschine, bis er schwarz vor Ruß war und Ko
S’la scharf zu ihm sagte, weiße Männer sollten keine Kuliarbeit verrichten. Die Maschine konnte schließlich zu torkelnder Fahrt bewogen werden. Der kranke Elefant litt, wie sich herausstellte, an Bandwürmern. Die Kulis hatten desertiert, weil ihre
Opiumration herabgesetzt worden war - sie wollten nicht im Dschungel bleiben ohne Opium als Vorbeugungsmittel gegen
Fieber. U Po Kyin, der Flory gern einen schlechten Dienst
erwies, hatte die Steuerbeamten veranlaßt, in einer Razzia das Opium zu beschlagnahmen. Flory schrieb an Dr. Veraswami
und bat ihn um Hilfe. Der Doktor schickte ihm eine Portion Opium, die er sich illegal verschafft hatte, Medizin für den Elefanten und einen Brief mit sorgfältigen Anweisungen. Ein Bandwurm von einundzwanzig Fuß Länge wurde
herausgezogen.
Flory arbeitete täglich zwölf Stunden. Wenn er abends nichts mehr zu tun hatte, stürzte er sich in den Dschungel und lief und lief, bis der Schweiß ihm in den Augen brannte und seine Knie vom Dorngebüsch bluteten. Die Nächte waren seine schlimmste Zeit. Die Schmerzlichkeit dessen, was geschehen war, sank, wie das gewöhnlich der Fall ist, langsam und allmählich in ihn ein.
Inzwischen waren mehrere Tage verstrichen, und Elizabeth
hatte Verrall noch nicht näher
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