Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
Bewußtsein: Zuerst ist nichts! … Die Kenner, wenn sie etwa eine Zeichnung sehen, gehen von Dürer oder Rembrandt oder von Picasso aus; der Schaffende, gleichviel wo er selber wirkt, weiß um das leere Papier.
Rezensionen
Goethe gibt den Rat, man solle einem Rezensenten niemals antworten, es sei denn, er behaupte in seiner Rezension, man habe zwölf silberne Löffel gestohlen – doch so weit gehen unsere Rezensenten kaum … Es bleibt also wirklich nur eins: schweigen und weitermachen, solange man Lust dazu hat, sein eigener Kritiker werden, keine silbernen Löffel stehlen und basta! – und dankbar sein, wenn eine Rezension, ob lobend oder tadelnd, ernsthaft ist, anständig, indem sie nicht annimmt, daß der Verfasser selber keine Bedenken und Einwände habe gegen sein Werk; solche Rezensionen gibt es ja auch, sogar mehr als unser Gefühl zugibt; ein Mensch, der uns bei Tisch etwa das Salz gibt, zählt ja nicht weniger als jener, der uns in die Suppe spuckt, aberder letztere beschäftigt uns länger, und leider weiß er das, auch wenn man ihm nicht antwortet.
Nichts leichter als das: man schneidet eine Kartoffel zurecht, bis sie wie eine Birne aussieht, dann beißt man hinein und empört sich vor aller Öffentlichkeit, daß es nicht nach Birne schmeckt, ganz und gar nicht!
Meistens ist es wohl so, daß das Unbehagen, das unsere Rezensenten befällt, irgendwo berechtigt ist. Aber wo genau? Vielen, scheint es, genügt die erste beste Deutung, die ihnen angesichts ihres Unbehagens einfällt, in ihrem berechtigten Unbehagen scheint ihnen alles berechtigt, was in die Feder fließt, und je menschlicher ein Unbehagen ist, je tiefer es im Persönlichen wurzelt, um so größer ist die Gier nach artistischen Mängeln, um so wahlloser auch; man spürt, wie froh sie darum sind, daß der dritte Akt mißraten ist – ich hätte ihnen einen größeren Gefallen nicht tun können.
Es ist schwierig, ein Rezensent zu sein; über die fachlichen Schwierigkeiten hinaus, die zu jeder Arbeit gehören und nicht besonders anzuführen sind, meine ich vor allem die menschlichen. Rezensionen, die ich als Student geschrieben habe, kann ich heute nicht ansehen, ohne zu erröten, wobei es weniger Unkenntnis ist, was beschämt, sondern der Ton ganz allgemein, der sich für witzig hält, eine Mischung von Dreistheit und Herablassung, und dabei, weiß ich, war ich voll Minderwertigkeitsangst. Das Rezensieren war für mich eine Notwendigkeit, eine Labsal, aber nur für mich. Sicher gibt es Seelen, die am Unvollendeten leiden, ehrlich leiden, rasend werden und nicht umhin können, auf den Tisch zu hauen und grob zu werden, daß die Wände wackeln. Dagegen ist nichts zu sagen. Die meisten aber, die allermeisten werden nicht rasend, sondern hämisch, witzig, dreist, herablassend. Hämisch im Falle des Tadels; brüderlich im Falle des Lobes, und das ist das andere, was mich an jenen studentischen Rezensionen verstimmt: die Anbiederung. Nichts istschwieriger als Loben. Schon die Wörter werden bald allgemein, so, daß sich ganz Verschiedenes, sogar Gegensätzliches damit beloben ließe. Es muß keine Mißgunst sein, keine Miesmacherei, wenn der Kritiker sich scheut, Lobesworte zu schreiben; das Lob, das ernsthafte, kann in der Tat fast nur mittelbar gesagt werden, beispielsweise durch die Namen, die zum Vergleich herangezogen werden, insbesondere durch die Höhenlage der kritischen Auseinandersetzung. Das unmittelbare Lob hat wenig Überzeugungskraft, und wenn jemand noch so inbrünstig sagt: Das ist das beste Gedicht! sagt er nichts über das Gedicht, und man fragt sich dann: Woher hat der wohl das Schwert, womit man jemand zum Ritter schlägt? und man wird den Eindruck einer fuchtelnden Selbstüberschätzung nicht ganz los, gerade wenn einer lobt. Vor allem aber, wenn ich nach Jahren auf eigene Rezensionen stoße, merke ich fast ohne Ausnahme, daß ich stets mich selber gelobt habe, gelobt, was eigenen Bestrebungen entgegenkommt und sie durch Gelingen heiligt, das ist es, was ich (und nicht selten auf Grund eines flinken Mißverständnisses) durch Lobesworte unterstrichen habe …
Es ist schwierig, ein Rezensent zu sein.
Es gibt viele Kenner, vortreffliche Kenner, doch wenig Leute, die von ihrem Dasein erfüllt sind, und vielleicht hätten diese allein die kostbare Gabe der Kritik. Nicht daß sie es selber besser machten! das ist eine kindische Forderung. Kritik ist ein Vermögen für sich. Aber die Erfüllten, gleichviel wo sie
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