Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
Vom Netzwerk:
– ob das für die Kultur nicht gefährlicher ist als alle Spießer zusammen?

Letzigraben
    Pflanzen der Bäume, lauter schöne und meistens große Stücke, Stämme über sieben Meter, so daß man sie mit großen Wurzelklumpen versetzen muß: Weiden aller Art, Ahorn, Platanen, Eschen und Erlen, Pappeln, Eichen, Akazien, Buchen und einige Nadelhölzer, deren Dunkles wir als Akzente brauchen – eine köstliche Arbeit, aber leider im Nebel, die kahlen Stämme wirken sehr dürftig, und es ist schwierig, sich den Sommer vorzustellen, das Grüne, das Dichte oder das Schüttere der verschiedenen Bäume; ich bin ganz auf den Gartenberater angewiesen, der die eintreffenden Stämme identifiziert, und auf die eigene Phantasie.
    Nachmittags wieder in die Baumschulen.
    Wir beschränken uns jetzt auf die wesentlichen Gruppen, etwa vierhundert Bäume und gegen tausend Sträucher; den Rest pflanzen wir dann im Frühling je nach Wirkung und verbleibendem Geld, es fehlen noch die Birken und Lärchen.

Café Odeon
    Wieder ein italienischer Film, der erschüttert, als sähe man diese Dinge zum erstenmal. Wieder der unverblümte Mut, das menschliche Versagen an der eignen Nation aufzuzeigen. Ohne das Peinliche der Selbstzerfleischung. Und wieder das Ergebnis, daß das Eingeständnis der Schwächen, ausredenlos erbracht, auch den ausländischen Zuschauer keinen Augenblick verführt, auf eben diese Nation herabzuschauen, im Gegenteil: es gibt kein europäisches Volk, das uns zur Zeit so mit Zuversicht erfüllt wie das italienische. Gerade durch seine Selbstkritik. Eine weitere Wirkung, die für diesen Film spricht: ich bin restlos überzeugt, daß auch wir, wäre uns der Faschismus nicht verunmöglicht worden durch den glücklichen Umstand, daß er von vornherein unsere Souveränität bedrohte, genau so versagt hätten, wenn nicht schlimmer zumindest in der deutschen Schweiz.

Letzigraben
    Wintermorgen, überall Reif, die Sonne als roter Ball hinter einem metallischen Dunst, das spröde Gezweig unsrer Bäume, zierlich und zart, wie mit Tusche gemalt auf eine graue, etwas ins Violette schillernde Seide, und unter den Schuhen, wenn man über das braune Feld geht, klingt es wie zerbrechendes Glas …
    In einer Woche ist Premiere.
    Ich bin sehr glücklich, mindestens weiß ich: diese Tage, wo zwei Entwürfe so verschiedener Art sich verwirklichen dürfen, werden mir einmal als glückliche Tage erscheinen. Hier die Handwerker, dort die Schauspieler. Das Wirkliche: die Spannung dazwischen. Die Proben werden wie immer das schönste sein; man ist unter sich, unter den Menschen, die daran arbeiten, und das Fertige wird stets etwas trostlos sein, unheimlich; alles Fertige hört auf, Behausung unsres Geistes zu sein; aber das Werden ist köstlich, was es auch sei – man sieht jetzt den warmen Atem der Arbeitenden als silbernen Hauch, der sich immerfort verliert …

1949
Neujahrstag 1949
    Das Klima der Sympathie – wie sehr wir darauf angewiesen sind! Es zeigt sich, sobald uns eine Sympathie, die lang vorhanden gewesen ist, entzogen wird. Da ist es, als habe man keine Luft unter den Flügeln.
    Frage:
    Ist die Sympathie, die uns das Gefühl gibt, fliegen zu können, nichts als eine freundliche Täuscherei, eine schonende Unterlassung der Kritik, so, daß das andere Klima – dieses Klima ohne Sympathie – als das gültigere anzusehen ist, das einzig gültige?
     
    Das Ansteckende: es genügt eine einzige Sympathie im ganzen Kreis, und wenn diese gekündigt wird, kündigt der ganze Kreis, der nichts zu kündigen hat.
    (Wie ihr Blick, musternd, dich verläßt.)
    Gewiß, man kann die Achseln zucken, sich dorthin wenden, wo Sympathie uns erwartet, oder neue erobern – das alles ändert nichts an dem Schrecken, wie verloren man ist, wo uns die Sympathie entzogen wird.
    Verloren: ohne Schutzengel.
     
    Sympathie nicht als Unterlassung der Kritik. Aber: Sympathie hat Geduld, die Geduld der Hoffnung, sie behaftet uns nicht auf einer einzelnen Gebärde, die ungehörig ist, vorlaut, tappig, eitel, rücksichtslos, selbstgerecht; sie läßt uns stets eine weitere Chance … Anders der Partner, der keine Sympathie empfindet: er verbucht, was ist, und gibt keinen Vorschuß, er ist aufmerksam und gerecht, und das ist fürchterlich. Sieht er uns richtiger? Wir werden, wie Polonius es mit den fahrenden Schauspielern tut, nach unserem Verdienst behandelt. Hamlet sagt: Potz Wetter, Mann, behandelt sie besser, viel besser; behandelt jeden Menschen nach seinem

Weitere Kostenlose Bücher