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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Lust, auszureiten, lobte die herbstliche Jahreszeit und fragte, welche Pfade er mir besonders empfehlen möchte. Nicht allzuviel offenes Feld; ich erkläre ihm meine Vorliebe für lockere Wälder. Er schwieg. Offenbar war er über meinen Leichtsinn erbittert, und als er weiterhin von bösen Vorzeichen erzählte, konnte ich nicht umhin, ich fragte ihn rundheraus, wer eigentlich jenseits dieser Gasse wohne. Er machte nur ein Gesicht, das ich aber nicht verstand. Wir erhoben uns ohne weitere Antwort seinerseits, und ich bat, daß man mich in die Stallung führte, wo ich mir ohne Zögern eine erfreuliche Stute erkor, einen Schimmel, und unverzüglich satteln ließ –.
     
    Die Erde, als ich zu Fuß ans Ufer ging, war finster und moorig, es federte unter jedem Tritt, und in jeder Stapfe, die man hinterließ, sammelte sich ein braunes Wasser, ein Tümpel mit Bläschen. Über den Wellen, die unter der Sonne blinkten, und über den weiten Wäldern, die jenseits der Moldau sich erhoben, über dem ganzen Tag, der vor mir lag, schwebte der blaue Herbst, und jedesmal, wenn ich stehenblieb und horchte, hörte ich ringsum ein Quaken. Ein Reiher flog über das Moor. Sonst war ich allein, und hätte ich meine Pistole nicht zu Hause gelassen, es hätte nicht an Schnepfen gefehlt. Am liebsten hätte ich allerdings geschlafen,die Reise und die letzte Nacht lagen mir ordentlich in den Gliedern, aber es reute mich die Zeit, oder ich hatte auch eine gewisse Scheu, daß mir abermals träumte. Ich sammelte Kiesel, die ich in einen stillen Kumpen warf, und betrachtete die munteren Wellen, die es jedesmal gab. Nur einmal erschrak ich über die Vorstellung, meine Stute könnte verschwunden sein. Jedenfalls war es mir, als hätte ich stundenlang kein Wiehern mehr vernommen, und fast wagte ich nicht, mich umzudrehen. Ich hatte mich ziemlich entfernt mit meinem Kieselsuchen. Ich stapfte durch das Moor zurück, so rasch es ging, langsam genug für meinen Schrecken. Die Esche fand ich wieder. Es war die einzige in der Gegend. Und als ich näher kam, stand auch die Stute noch dabei; nur hatte sie schon lange keine Sonne mehr, es streckten sich die Schatten aus dem Wald, und das Tier hatte schon ziemlich gefroren –
     
    Im Palais unsrer Gesandtschaft, als ich wieder dahin zurückkam, erwartete mich Graf von U. mit einer Miene, die mich zu fragen zwang, was vorgefallen sei; jedenfalls spürte ich, daß er nicht von meinem herrlichen Ritte hören wollte, und ich sagte, indem ich die Handschuhe auszog:
    »Krieg?«
    Er empfing mich mit der Nachricht, daß ich morgen, Freitag den dritten September, auf dem Hradschin empfangen würde, und zwar von Seiner Exzellenz persönlich, morgen um zehn Uhr –
    »Gut«, sagte ich. »Gut.«
    Schon im Begriff, die Treppe hinanzusteigen, blieb ich nochmals stehen, so zufällig als möglich, und erkundigte mich, ob sonst nichts hinterlassen worden sei …
    »Sonst?«
    »Ein Billett oder so?«
    Der Graf blickte auf den Lakai –
    Der Lakai auf den Grafen –
    Nichts. –
     
    Wir trafen uns dennoch.
    »Sprechen Sie schon!« sagte sie: »Seit einer Woche stellen Sie mir nach –«
    »Ich?«
    Ihr Lächeln war voll Hohn.
    »Das ist nicht möglich«, sagte ich: »gestern nacht bin ich erst angekommen –.«
    Sie glaubte mir kein Wort, und umsonst besann ich mich auf einen Beweis. Unterdessen erzählte sie eine ganze Geschichte, wie ich sie verfolgt hätte und wo und wann. Obschon es natürlich ein Unsinn war, was sie redete, wagte ich kaum zu widersprechen. Sie glaubte allen Ernstes daran. Fast zärtlich, als wäre mein Schweigen schon ein Geständnis, sagte sie:
    »Warum das alles?«
    Eine Weile war ich wirklich verwirrt. Vielleicht machte es auch die Art, wie wir einander getroffen hatten. Stundenlang hatte ich nach ihrem Fenster geschaut, umsonst ein Zeichen erwartet, und als die Dämmerung es erlaubte, hatte ich es sogar an der Türe versucht, die ich verschlossen fand. Enttäuscht und überzeugt, daß ich ihr morgendliches Nicken offenbar mißdeutet hätte, ging ich schließlich in die Stadt und wieder hinunter an die Moldau, ich weiß nicht warum. Eine gewisse Erregung, die mich seit der vergangenen Nacht nicht mehr verlassen wollte, mochte dazu beitragen, daß ich mir plötzlich einbildete, ich sehe Anja über die Gasse gehen. Natürlich war es ein bloßes Hirngespinst. Immerhin ging ich ihr nach, um durch den Anblick ihres Gesichtes, das ich jedenfalls sehen wollte, meine alberne Einbildung loszuwerden. Sie ging,

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