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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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während mir der Schweiß auf der Stirne stand, und ich ging nochmals den Häusern entlang, tastete in die Finsternis ihrer Nischen und Türen, wo das Mädchen sich versteckt halten mochte, wie vorgestern, als sie meine Tritte hörte, wenn ich vorbeiging.
    »Anja?« sagte ich: »Anja?«
    Ich lief immer schneller, und je lauter ich zu rufen wagte, um so toter erschienen die Gassen, um so schneller rief ich:
    »Anja?… Anja?… Anja?…«
    Natürlich war alles umsonst.
    Das Mädchen habe ich nie mehr gesehen, obschon ich sie suchte, bis die ersten Vögel zwitscherten. Vielleicht war sie noch über die Brücke gekommen, bevor man sie geschlossen hatte. Das weiß ich nicht. Beim Morgengrauen kehrte ich in unser Palais zurück, das ich zur gleichen Stunde wie am Vortag betrat. Ich war hundemüde. Das Ganze, bei Tag betrachtet, erschien mir nun selber als ein lächerliches Hirngespinst, geschmacklos und dumm. Warum sollte Anja gerade in diese Stadt gegangen sein? Ich hätte mich selber auslachen können. Warum sollte ihr Kind, wenn es überhaupt ein solches gab, gerade in dieser Gasse wohnen? Vielleicht lag das Mädchen, dem ich diese verrückte Nacht verdankte, schon stundenlang in ihrem Bett. Ich öffnete meine Vorhänge wie einer, der auf seine Verhöhnung gefaßt ist. In der Gasse hörte man schon die ersten Menschen. Ihre Vorhänge hingen wie am Vorabend, das Fenster stand offen, das Zimmer war leer, die Sonne schien auf den Boden. Die Angst, es könnte ihr ein Unglück geschehen sein, machte mich noch einmal unsicher –.
     
    Schlag zehn Uhr, wie vereinbart, war ich auf dem Hradschin; ich trat an ein hohes Fenster, meine Hände auf dem Rücken, und blickte hinunter auf den großen Hof; unsere Karosse stand beim Tor, schon von etlichen Menschen umringt, die das Wappen unsrer herzoglichen Durchlaucht bemerkten, und ihre Haltung schien nicht gerade freundlich –
    Endlich die Türe!
    Man führte zwei Herren herein, die sich förmlich verbeugten, ein Geistlicher und ein andrer, der mit leiser Stimme von einer Ertrunkenen erzählte, die man eben, da er über die Brücke gefahren, aus der Moldau gezogen hätte. Natürlich drehte ich mich sofort um, wußte aber nicht, wie ich meine Frage fassen sollte. Offenbar war es ein Geistlicher, der aus den Gefängnissen kam und Seiner Exzellenz, so vermutete ich, ein Gesuch um Begnadigung vorzulegen hatte. Zur eigentlichen Frage aber, die ich stellen wollte, kam ich nicht mehr; ich sah mich, kaum hatte ich die beiden Fremden angesprochen, in einer Gasse von böhmischen Gardisten, erwartet von einer offenen Flügeltüre, die mich, indem ich sie durchschritt, zum Zwerg verwandelte: – Seine Exzellenz, wie ich auf dem Teppich stehenblieb und als Soldat grüßte, war nicht allein. Er fragte mich, ob die Gegenwart seines Schatzkanzlers stören würde, fragte es, indem er ein Schreiben unterzeichnete und das Siegel betrachtete, nicht mich, und da ich meinerseits schwieg und mit Absicht stehenblieb, blickte er mich neuerdings an, fragte, ob ich lieber allein sein möchte. Ich antwortete, es wäre wertvoll, und setzte mich, damit mein weiteres Stehen nicht als Trotz, mein Wunsch nicht als Forderung erschiene. Der Schatzkanzler, seinerseits nicht minder höflich, entfernte sich in einer Weise, als hätte er ohnehin gehen wollen, und also waren wir allein, saßen einander gegenüber, nur noch durch einen großen Schreibtisch getrennt, der leer war. Während unseres ganzen Gespräches blickte ich geradezu auf einen französischen Gobelin, der die ganze Wand bedeckte, weiß aber nicht mehr, was er darstellte; Seine Exzellenz, die vor diesem Gobelin saß, ist ein Mann mit grauem Haar, mit einer langen und schmalen Nase, mit einem weißen Spitzbart, kaum anders, als ich mir den lieben Gott auszumalen beliebte. Sogar mit den knabenhaften Lippen stimmte es. Er lächelte:
    »Sie bringen uns eine Botschaft, betreffend die Zwischenfälle an der Grenze. – Wir sind bereit, Sie anzuhören.«
    Ich sagte, was bisher in allen Botschaften unsrer Durchlaucht gestanden hat, versicherte, daß wir nichts als den Frieden wünschten, nicht einen Augenblick daran dächten, die böhmischeKrone anzugreifen, daß wir alles dafür tun wollten, damit die Zwischenfälle, die man uns vorwarf, sofort untersucht würden, ja, wir wären sogar bereit, Vertreter der böhmischen Krone einzuladen, damit sie sich von der Wahrheit überzeugen konnten, und so weiter … Das alles hörte er an, wie ich es nicht anders erwartet

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