Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
hatte, nämlich gelassen und höflich und gleichgültig, wortlos, als eine verlorene Viertelstunde für beide. Nach einem längeren Schweigen, das er mit einem schwachen Lächeln hinnahm, ließ ich es darauf ankommen, bevor er mich nach der schriftlichen Botschaft fragen würde; ich erhob mich.
»Weiter haben Sie nichts auszusagen?«
»Nichts.«
Darauf erhob er sich ebenfalls.
»Es sei denn«, fügte ich hinzu: »man würde ganz offen über die Dinge reden –.«
Er schaute mich an:
»Warum tun Sie es nicht?«
Während ich redete, sah ich nichts mehr von dem französischen Gobelin, und ich weiß nicht, wie lange ich eigentlich redete. Was ich sah, war nur noch der böhmische Reiter, wie er damals das Kind bei den Füßen nahm und mit dem Kopf gegen den Türpfosten schmetterte, bis man nur noch die Mutter hörte, die alles das ansehen mußte, weil sie unser Versteck nicht hatte verraten wollen …
»Exzellenz«, sagte ich: »wir wissen es wohl, daß unsere Botschaft keine Hoffnung hat, und wenn wir hundertfach beweisen können, daß die Zwischenfälle nicht unsere Schuld sind. Warum diese bösen Zwischenfälle geschehen müssen, wer weiß es besser als die böhmische Krone? Warum geschehen sie zur Zeit, da unsere Ernte unter Dach ist? Exzellenz wissen es auch ohne unsere Botschaft, daß das böhmische Heer, das vor unseren Grenzen liegt, viermal stärker ist als das unsere. Was sollen wir beweisen? Wir liefern Recht, und was die böhmische Krone braucht –«
»Nun?«
»Nennen wir es Getreide –.«
»Auch.«
»Nennen wir es Erz –.«
»Auch.«
»Und wenn wir es lieferten, Getreide und Erz, hätten wir damit den Frieden erkauft? Wir wissen wohl, daß es nicht um das Recht geht, aber auch nicht um das Getreide und das Erz; was die böhmische Krone braucht, das ist ein Sieg.«
Er nickte:
»Auch –.«
Darauf war ich nicht gefaßt.
»Exzellenz«, sagte ich: »Sie nicken zu einem Mord? Wenn es dazu kommt, dann gibt es keinen andern Namen dafür: es ist ein Mord von Frauen und Kindern, Exzellenz, ein Mord von schwachen und hilflosen Geschöpfen –.«
Er stand noch immer am Fenster.
»Glauben Sie«, sagte er: »daß Sie selber nicht morden, wenn Sie wissen, daß es Ihnen einen Vorteil bringt und daß Sie jedenfalls der Stärkere sind, daß Sie es ohne Strafe können? Ich meine, können Sie es schwören?«
Er blickte mich an:
»Der liebe Gott, ja, ich weiß …«
Er setzte sich wieder, zog die Brauen und lächelte über mein Schweigen, während er eine Schublade öffnete, als suchte er ein Dokument; es war aber nur ein Messerchen aus Elfenbein, das er offenbar vermißt und zufällig, indem er die Schublade zog, wieder gefunden hatte. Wie von ungefähr, indem er die schwere Lade wieder zuschob, erinnerte er sich an meine Person und fragte:
»Was haben Sie sonst vorzubringen?«
Draußen hatte sich bereits eine ziemliche Menge versammelt und belagerte unsere Karosse. Die Wachen öffneten das große Tor, machten ihren Salut, während ich durch die offene Gasse schritt, die mich zur Karosse führen sollte, und plötzlich spürte, daß mir jemand ins Gesicht gespuckt hatte. Ich blieb stehen, und alles wartete, was ich nun täte. Ich wartete ebenfalls. Die Wachen verharrten in ihrem feierlichen Salut. Ich spürte den eklen Speichel,der mich unter dem linken Auge getroffen hatte, spürte, wie er langsam über meine Wange herunterrann, wie er auf meine weiße Krause tropfte, und die Meute wartete nur darauf, daß ich ihn abwischte, wartete, um in wildes Gelächter auszubrechen. Das alles dauerte kaum zehn Atemzüge. Dann war ich weitergegangen, setzte mich in die Karosse, und erst später, als wir schon eine Weile gefahren waren, wischte ich mich ab, in Gedanken schon lange bei der Ertrunkenen, die zu sehen ich vorhatte.
In der Gesandtschaft fragte der Graf:
»Krieg oder Frieden?«
Ich antwortete nichts, ließ sofort das Gepäck verladen und befahl, daß man mich nach dem gemeinen Leichenhaus führte. Ich war auf alles gefaßt. Wie ich die gemeine Leichenhalle betrat, gräßlich schon der Geruch, zweifelte ich nicht, daß ich die Leiche, die mit einem üblen Tuch bedeckt war, erkennen würde. Diese Gewißheit, daß mich nichts mehr überraschen konnte, war mein einziger Halt. Fast gelassen wartete ich auf den Wächter. Auch das dauerte übrigens nur wenige Augenblicke, und schon war das Tuch entfernt. Es war aber nicht das Mädchen, das nebenan wohnte, bei aller Entstellung, die möglich ist, konnte
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