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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Die Gäste lesen die Zeitungen aus ihrem eignen Land, die nichts von Unruhen melden, überhaupt nichts von Italien; ein wenig ist man beruhigt. Aber ärgerlich bleibt es doch, traurig, unbegreiflich, daß es auch in diesem Lande solche Leute geben muß, Elemente genannt, die haben wollen, was andere schon haben. Ich spiele Pingpong mit dem jungen Italiener, dessen Geliebte lieber zuschaut; sie sucht unsere verhauenen Bälle in den nächtlichen Agaven …
     
    Nichts wäre schöner als ein Lustspiel, doch nicht ein antiquarisches, es müßte schon ein gegenwärtiges sein, meinetwegen in Kostüme verkleidet, ein Lustspiel um unsere Probleme. Ob das möglich ist? Das Verlangen danach wäre gewaltig, überhaupt das Verlangen nach einer fröhlichen und im Grunde zweifellosenBejahung, einer Bejahung allerdings, die unseren wirklichen Fragen und unserem heutigen Bewußtsein nicht ausweicht. Das ist wohl entscheidend. Ein Lustspiel, das einfach ausweicht, kann bestenfalls zerstreuen; dann ist ein Trauerspiel, das unserem Bewußtsein standhält, immer noch tröstlicher, scheint mir –
    Wieso gibt es dieses Lustspiel nicht?
    Man kann drei Stunden lang lachen, von Witzen geschüttelt, und es ist kein Lustspiel. Witz genügt nicht. Der sogenannte Lacher ist stets ein Beiwerk, nie das Kennzeichen eines Lustspiels. Denkbar wäre eine Heiterkeit ohne jeden Witz, lustvoll-tröstlich, entspringend aus einer unwiderstehlichen Zuversicht, der gegenüber alle Leiden und Leidenschaften, die sich abspielen, unverhältnismäßig werden und insofern komisch. Das Lustspiel, glaube ich, ist nicht eine Frage der Fabel, sondern des Klimas. Es geht nicht ohne die große Zuversicht, ohne ein Gefühl, daß im Grunde doch alles zum besten bestellt sei und daß die Welt nur ein gutes Ende nehmen kann, ein erlösendes Ende, das ist der fromme Goldgrund, den wir so sehr ersehnen, und ohne ihn gibt es kein wirkliches Lustspiel … Bei Kleist, im Zerbrochenen Krug, steht hinter der Komik, daß Menschen über Menschen richten, das unerschütterte Vertrauen, daß es ein übermenschliches Gericht gibt, eines jenseits der Komik; Herr Gerichtsrat Walter, der dort den Goldgrund bringt, als Statthalter eines wirklich lieben Gottes. Daran ist nicht zu zweifeln. In der Minna von Barnhelm und in anderen wirklichen Lustspielen, es sind ja wenig genug, ist es nicht immer eine metaphysische Zuversicht; oft genügt schon der Glaube an eine gesellschaftliche Ordnung. Man lacht über ihre Entartungen, über ihre leidigen Auswüchse, aber im Grunde kann man sie bejahen; die Gesellschaft, der das Lustspiel gezeigt wird, ist die beste aller möglichen. Es gibt Grafen und Diener, und zuweilen, zeigt das Lustspiel, ist der Diener ein viel bessrer Kerl, edler als der Herr Graf, ja, der Diener verdiente schlechterdings, daß man ihn in den Adel erhöbe, und die Verteilung der Titel ist komisch, weil unverhältnismäßig, komisch in diesem Fall; aber daß es überhaupt Grafen und Dienergibt, Herren und Leibeigene, daran rüttelt das Lustspiel nicht. Sonst ist es aus mit der Lust. Die Gesellschaft wird mindestens in ihrer Idee bejaht, und zwar zweifellos; um so kecker darf man, ohne ketzerisch zu sein, über ihre ungenügende Verwirklichung lachen. Das Lustspiel ist fromm. Fromm wie Aristophanes! Er glaubt an Athen, das ist zweifellos, sonst könnte er die Athener nicht dermaßen zerzausen, und er hat auch Grund, an seine Polis zu glauben; trotz Kleon –. Aristophanes glaubt; sonst wäre er nicht Aristophanes geworden, sondern ein Hanswurst oder ein Tragiker. Das Mindeste ist natürlich, daß der Mensch bejaht wird, der Mensch schlechthin; das Mindeste oder das Höchste. Der Mensch als Gottes bestes Geschöpf, sein Meisterstück. Unsere Leidenschaften erscheinen im besonderen Fall vielleicht närrisch; der Mensch vertraut, wo er betrogen wird, und sein Vertrauen wird unverhältnismäßig, komisch, weil er es stets an die falsche Person vergeudet; aber auf der gleichen Szene steht eine andere Person, die ihn, wenn er es bloß merken möchte, zweifellos glücklich machte. Zweifellos; das ist der Punkt. Man könnte glücklich sein! Oder wir lachen über den Heuchler, wissend, daß die Tartuffe zuletzt doch nichts erreichen. Zuletzt; das kann im fünften Akt sein oder im Himmel. Die Tugend siegt immerdar; an diesem Goldgrund wird nicht gekratzt; er allein, und nicht einzelne Späße, er allein versetzt uns in die Lust, die dem Spiel schließlich den Namen gibt – Goldgrund der

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