Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
Zuversicht, daß Recht geschieht und alles einen Sinn hat, meinetwegen einen ewig-verborgenen, aber einen Sinn; ohne diese Zuversicht, die fromm und zweifellos sein muß, kann es nur eine Satire werden, witzig, aber nicht lustvoll-tröstlich … Don Quixote ist komisch, weil alles, was er redet und tut, unverhältnismäßig ist; er hat zuviel gelesen, der Gute, und nun sehen wir ihn, ausgestattet mit feudalen Redensarten, hinausreiten in eine ganz und gar bürgerliche Welt, ein Opfer der Belletristik, die zu allen Zeiten aus antiquarischen Redensarten besteht; alles ist anders als seine hehren Gespinste, nützlicher, häßlicher, minder großartig, aber lebbar und lebenswert. Die Welt, die den Ritter narrt, wird von Cervantes im Grunde bejaht. Es ist immerhin eine wirkliche Welt,eine mögliche Welt, und unser Erbarmen ist nicht mit den Wirten und Gänsedirnen, daß sie keine Prinzessinnen sind, sondern mit dem Edlen von La Mancha, der die Wirte und die Gänsedirnen immerzu verkennt. Was würde sein, wenn die Welt, die Don Quixote zum rührenden Narren macht, ebenfalls eine unmögliche wäre, ein leerer Spuk, vergangen, verloren, unwirklich und unlebbar, keiner Bejahung wert? Wo bliebe unsere Lust an seinem Irrtum – wenn es nicht einmal ein Irrtum wäre?
Heute in Santa Margherita, Sonntag, hin und wieder fahren sie auf offenen Lastwagen vorbei, gepfercht, aber singend, ein Mädchen hält die Fahne mit Sichel und Hammer.
Woher aber die Zuversicht? Woher der Goldgrund? Die Botschaften höre ich wohl. Das Einverständnis mit einer kommenden Gesellschaft, die ihre Lebbarkeit noch nicht bewiesen hat, ist selten heiter; der Wille zur Zuversicht, der den Revolutionär erfüllt, ist noch keine Zuversicht. Wie selten findet man einen Revolutionär, dem der Humor nicht ungeheuer wäre …
Ich lese Jakob Burckhardt, eine antiquarische Ausgabe mit bräunlichen Flecken im Papier und Marmoreinband, genieße seinen goldenen Altmännerglauben, also geschrieben von einem jungen Menschen, ich lese ihn, als wüßte ich nichts von seinem späteren Ruhm, lobe ihn, als hätte er es nötig, tadle ihn, als dürfte man das. Beispielsweise tadle ich seine durchaus unfreie, blinde, vorurteilhafte Geringschätzung der eignen Gegenwart, so dieser verfluchte Ton: Und also kommt der Geist mehr und mehr auf den Hund und schließlich auf uns. Ich zähle ihm vor, wer zur Zeit, als er das geschrieben hat, gelebt und geschaffen hat; immerhin ein Klub von ganz achtbaren Herren. Die meisten, gewiß, er hat sie nicht kennen können. Man muß vorsichtig sein mit der Wertung seiner eignen Zeit!… Brunelesco beginnt die Renaissance, und mit der Renaissance beginnt Burckhardt ein herrlicher Offenbarer zu werden, immerzu zücke ich meinen Stift, um das Entzückende anzustreichen, einmal, zweimal, dreimal!Stile sind Schaffensziele; warum sie sich wandeln, darüber schweigt auch mein großer Jakob. Mit Brunelesco beginnt die Renaissance, nicht anzuzweifeln, hundert Seiten später kommen andere, welche die Renaissance, die mein Autor schlichterdings als das Richtige erläutert hat, einfach wieder auf den Hund bringen. Die Elenden! Plötzlich machen sie Barock, und Burckhardt, eben noch ein Begeisterter im wörtlichen Sinne, wird plötzlich professoral, will sagen: plötzlich hat er keine Antenne mehr und hört nur noch sich selber, seine Meinungen. Mein Stift gestattet sich die ersten Fragezeichen, die sich nach und nach in Ausrufzeichen wandeln, endlich lege ich das Buch auf den Tisch, nicht unwillig, bloß bedenklich: scheint es doch, daß eine noch so geistvolle Betrachtung des Geschaffenen, und wer möchte darin diesen Burckhardt übertreffen, nicht über die Vorhöfe hinauskommt; die Bedingungen des Schaffens erschließen sich vielleicht dem Schaffenden, doch kaum so bewußt, daß er sie auszusagen vermag, es ist auch nicht sein Anliegen; der Betrachtende aber geht von einem Bewährten aus, das er als richtig erkannt hat, als allgemeingültig – das Gebot, das den Schaffenden leitet, ist aber wahrscheinlich nicht das Richtige dieser Art, sondern das Persönlich-Mögliche, das Persönlich-Notwendige, das Gebot des Lebendigen, das sich als solches immerzu erschöpft in dem Augenblick, da ihm eine ganz entsprechende Gestalt gelingt. Alles Gelingen ist kurz. Und unwiederholbar. Die Blüte im antiken Griechenland; die Renaissance. Nur das Epigonale kann dauern. Wohl das Beste, was ich über die notwendige Wandlung der Stile kenne, sagt Goethe im
Weitere Kostenlose Bücher