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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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wieder auf die Beine … er stützte mich, während wir weitergingen. Auch wenn seine medizinische Hilfe und sein Griff eher rauer Natur waren, spürte ich, dass in seinem Verhalten auch Erbarmen lag. Was ich für Chara getan hatte, wurde zumindest teilweise gewürdigt.
    Wir traten durch maurische Torbögen in immer neue Korridore. Einige waren mit weiteren Zellen, andere nur mit feuchtkalten, schmutzigen Steinen gesäumt. Nachdem wir mehrere Zimmer passiert hatten, die ich für Büros hielt, auch wenn ihre schwarzen Metalltüren geschlossen waren, erreichten wir die äußeren Mauern des Gefängnisses. Hier wurden die Korridore allmählich sauberer und bestanden aus glänzenden Obsidian-Blöcken, die wie Ziegel miteinander vermauert waren. Schließlich blieben wir vor einer der geschlossenen Eisentüren stehen. Der Wärter öffnete sie und schob mich in den Raum.
    Hinter einem Schreibtisch, der ebenfalls aus zusammengenagelten schwarzen Eisenplatten bestand, saß einer dieser skelettartigen Dämonen mit den glühenden Augen. Sein mächtig geschwollener Kopf sah aus wie ein zum Platzen verdammter Ballon – er gehörte zur Gattung jener Dämonen, an denen auch die Neuankömmlinge vorbeigeschleust werden, wenn sie frisch in der Hölle eintreffen. Ohne ein Wort sah das leichenhafte Wesen mich an – für einen Moment schien es direkt in mein Gehirn zu starren, dann nickte es dem Wärter zu. Damit war die Sache erledigt, was auch immer die Sache gewesen war. Wir verließen das Zimmer wieder, der Wärter schloss die schwere Tür hinter sich und schon eine Minute später schob er mich aus dem Vordereingang in die Freiheit Oblivions.
    Da ich bei meiner Ankunft in der Stadt sofort verhaftet worden war, gewann ich nun zum ersten Mal einen richtigen Eindruck vom Leben innerhalb ihrer Mauern.
    Während ich eine breite Treppe aus schwarzem Marmor hinunterstolperte, schaute ich zurück auf das bedrohlich aufragende Gefängnis. Es war zwar ungeheuer weitläufig und hoch, aber ich hatte durchaus schon größere Gebäude gesehen – ich nahm daher an, dass sich der Großteil unter der Erde befand. Eine Reihe durchsichtiger Adern unterschiedlicher Dicke – ähnlich wie diejenigen, die sich auch in einigen Gefängniskorridoren an der Decke entlangschlängelten – trat an einer Seite des Gefängnisses hervor und verband es mit einem noch höheren Gebäude nebenan. Ich sah zu, wie eine Mischung aus Blut und einer breiigen Masse durch eines dieser Verbindungsrohre gespült wurde. Bei dem Nachbargebäude musste es sich um die Folterfabrik handeln. Auf ihrem flachen Dach ragten vor dem grellen Rot, Gelb und Orange des Lavahimmels zwei Ziegelschornsteine auf, aus denen schwarzer Rauch quoll, der die Luft mit dem widerlichen Gestank brennenden Fleisches erfüllte.
    Die Straße war sehr breit und mit Kopfsteinpflaster ausgelegt, und in ihrer Mitte verliefen zwei weit auseinanderliegende Schienenstränge, die aussahen wie die einer Straßenbahn – allerdings fuhren nirgendwo auf der Straße Kraftfahrzeuge. Verfügte Oblivion etwa über ein öffentliches Nahverkehrsnetz?
    Ich bog um die Ecke des Häuserblocks und fand mich auf einer viel schmaleren Straße wieder, die hauptsächlich von ziemlich kleinen Wohnhäusern aus schwarzen Ziegelsteinen gesäumt war. Es überraschte mich, im Erdgeschoss der Häuser zahlreiche Ladenlokale zu sehen, die zwischen den schwarzen Fassaden hell leuchteten. Der einladende Geruch aus einer Bäckerei überdeckte die üble, schmutzige Luft beinahe. Außerdem entdeckte ich mehrere Bekleidungsläden. Während ich weitertrottete – meine eigene Kleidung noch immer nass vom Blut, obwohl meine Wunde sich bereits wieder zu schließen begann –, würdigte mich niemand eines weiteren Blickes.
    Zwei Jungen im Teenageralter radelten auf klapprigen, schrecklich quietschenden Fahrrädern an mir vorbei. Vor mir zog eine alte Frau eine wackelige, mit Lebensmitteln beladene Karre über den Gehweg. Als er auf gleicher Höhe mit ihr war, langte einer der vorbeiradelnden Jungen hinunter und schnappte sich einen Sack von ihrem Wagen. Sie schrie auf und ich brüllte: »Hey!«, aber die Jungen bogen bereits mit triumphierendem Geheul um die nächste Kurve.
    Von etwa jedem fünften Gebäude spannte sich ein Drahtseil über die Straße, und an diesen Drahtseilen hingen reihenweise kopflose Skelette – wie Wäsche auf einer Leine, vollkommen schwarz, so als seien sie verkohlt, ihre Gliedmaßen mit Drähten zusammengebunden. Sie

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