Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
wirkten beinahe wie ausgestellte Bastelarbeiten in einem Klassenzimmer. In der Brise schaukelten sie leicht hin und her und klapperten sanft gegeneinander, wie Windspiele aus Bambus. Den Menschen wuchsen zwar, wie auch in Carolines Fall, neue Körper nach, wenn sie geköpft wurden, der kopflose Körper verrottete jedoch einfach. Trotzdem war dies das erste Mal, dass ich menschliche Knochen in der Hölle sah. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass die Stadt diese makabren Dekorationen der Folterfabrik zu verdanken hatte, die sich eine Straße weiter befand. Möglicherweise kennzeichnete Oblivion so seine äußeren Grenzen.
Über der nächsten überfüllten Straße, in der ich mich wiederfand, schaukelten hingegen keine Skelette. Sie glich eher einem bescheidenen Marktplatz: zusammengefaltete, auf Tischen ausgelegte Kleidung, an Haken hängende Töpfe und Pfannen, in düsteren Farben glasierte Töpferwaren, Seifen und Kerzen. Was Nahrung anging, so war die Auswahl ziemlich gering: Die meisten Händler boten körbeweise die typischen weißen Kürbisse an, während einige Badewannen mit Eis gefüllt hatten und jene Krebse darin präsentierten, von denen es auch auf der Vulkanebene vor Caldera gewimmelt hatte. Außerdem standen einige in Salz geräucherte, aalartige Viecher zur Auswahl, die genauso widerlich aussahen wie Tiefseefische und an einem schmuddeligen Stand an ihren Schwänzen aufgehängt waren. Sie hatten keine Augen, aber aus ihren hervorstehenden Kiefern quollen unzählige Reißzähne. Ich deutete darauf und sprach eine in Schwarz gehüllte Muslima an, die in der Warteschlange stand, um etwas zu kaufen.
»Ist hier irgendwo ein Ozean oder ein größeres Gewässer in der Nähe?«
»Hier in der Nähe ist das Rote Meer. Aber diese Fische kommen nicht aus dem Meer.«
»Woher kommen sie dann?«
Ihre schwarzen Augen – das Einzige, was von ihr sichtbar war – verengten sich angespannt, und in ihrer Stimme lag etwas sehr Geheimnisvolles und Ernsthaftes. »Man findet sie hauptsächlich im Tal des Dampfes. Sie schwimmen durch die Luft … und wenn sich genügend von ihnen versammelt haben, können sie einen Menschen unglaublich schnell vertilgen und ihn immer wieder auffressen, bevor er seinen Körper vollständig regenerieren kann. Wer von ihnen angegriffen wird, braucht manchmal Monate, um weit genug aus dem Tal hinauszukriechen und sich wieder komplett zu regenerieren.«
Ich nickte. »Äh, danke. Tja … ich schätze, dann ist es nur fair, wenn wir sie auch essen, oder?«
»Sie schmecken ganz gut«, versicherte sie mir.
Ich schlenderte weiter und betrachtete die essbaren Waren des Marktes. Ich sah dicke Leinensäcke und große Webkörbe, die mit einer Art Getreide gefüllt waren, aus dem, wie ich annahm, auch das Brot der Stadt gebacken wurde – wenigstens dieses Zeug schien in rauen Mengen vorhanden zu sein. Hier und da standen diverse Holzschalen voller knorriger Wurzeln, die aussahen wie die missgebildeten, geschwollenen Hände alter Frauen. Ansonsten gab es nicht viel zu sehen, was darauf hinwies, dass nicht allzu viele Lebensmittel ihren Weg in die Stadt fanden, obwohl Oblivion ein dicht besiedeltes Handelszentrum war.
Dann sah ich einen Mann mit einer blutgetränkten Schürze, der eine Schubkarre über den gepflasterten Gehweg schob, in der sich ein riesiges dunkelrotes Stück Fleisch befand, das mit Fett und Sehnen marmoriert war. Ich nahm an, dass es von einem der großen Tiere stammte, die den Urvölkern, Aborigines, amerikanischen Ureinwohnern und all den anderen Völkern, die vor der Ankunft des Sohnes gelebt hatten, zur Verfügung standen, damit sie auch hier auf die Jagd nach Fleisch und Fell gehen konnten. Dieser geschlachtete Kadaver hatte jedoch etwas verstörend Menschenähnliches an sich. Mein Blick huschte zu der Tür hinüber, aus der der Mann mit der Schürze vor wenigen Augenblicken getreten war und die ihm ein ähnlich blutiger Assistent aufgehalten hatte.
Im Schaufenster des Ladens hingen die kopf-, arm- und beinlosen Torsos dreier hölzerner Schaufensterpuppen an Haken. Auf jede Puppe war ein Wort geschrieben: WALSH’S. ZARTES. FLEISCH.
»Oh … nein«, murmelte ich leise und schob mich näher an das erleuchtete Schaufenster heran, auch wenn ich mich noch nicht dazu überwinden konnte, den Laden auch zu betreten. Ich legte einem Mann, der sich der Türschwelle näherte, die Hand auf den Arm.
»Sind das … Verkaufen die da drinnen Menschenfleisch?«
»Neu?«
»Ich? Ja,
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