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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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das Leder ist ja auch ein Teil von dir. Wenn ich den Einband abreißen und verbrennen würde, könntest du dich dann endlich vollkommen wiederherstellen?«
    »Weiß nicht«, wiederholte Lyre.
    »Vielleicht würdest du dich auch nur als dieser Einband regenerieren«, überlegte ich laut, »als ein Hautfetzen mit einem Auge in der Mitte.« Ich wechselte das Thema und schrieb Lyre: »Weißt du, ob schon mal irgendwann jemand aus der Hölle geflohen ist?«
    »Nein.«
    »Denkst du, dass es zumindest möglich ist, den Lebenden da draußen eine Nachricht zu senden? Um sie zu warnen, sie vorzubereiten? Irgendetwas wie dieses Buch hier. Ist es möglich, einen Gegenstand nach draußen zu schmuggeln?«
    »Glaub nicht.«
    »Ich möchte es herausfinden«, erwiderte ich. »Ich möchte versuchen, dieses Buch zu mir nach Hause zu schicken. Vielleicht funktioniert es ja, wenn ich den Einband abreiße, schließlich steckt in dem ja deine Seele. Vielleicht finde ich ja irgendwie einen Weg, nur diese leblosen Seiten hinauszuschicken.«
    »Weiß nicht«, sagte mein lebendiges Tagebuch erneut.
    Seitdem sind Stunden vergangen. Ich hatte angenommen, sie würden die Dämonin Chara schnellstens zu mir bringen, damit sie nach mir sah. Ich vermutete daher, dass sie sich noch immer von ihren Qualen erholte. Ich fragte mich auch, ob sie Caroline wohl eingeholt hatte, bevor sie Oblivion erreichte. Aber was machte das letzten Endes schon für einen Unterschied? Caroline war dazu bestimmt, im Laufe der Ewigkeit von vielen Dämonen traktiert und verstümmelt zu werden – einer war so gut wie der andere.
    Ich umfasste die rauen Gitterstäbe meiner Zelle und quetschte mein Gesicht zwischen zweien hindurch, um einen Blick in den schummrig beleuchteten Korridor dahinter zu werfen. Sporadisch leuchteten nackte Glühbirnen in kleinen Metallkäfigen, die selbst wie Miniaturzellen aussahen. Es gab noch mehr Zellen wie meine. Die, die meiner direkt gegenüber lag, war in völliger Dunkelheit versunken, sodass ich nicht erkennen konnte, ob sie ebenfalls bewohnt war. Ich bildete mir allerdings ein, das schwache Rascheln einer Bewegung darin zu vernehmen. Dann veranlasste mich ein rauschendes Gurgeln, meinen Blick in Richtung der niedrigen Decke zu wenden. Entlang der Decke verlief eine dicke Rohrleitung, organisch und durchsichtig. Durch die Leitung floss eine dunkle Flüssigkeit, in der allem Anschein nach auch Abfallklumpen schwammen. Es handelte sich jedoch nicht um eine Abwasserleitung: Die Flüssigkeit war rot, und die Klumpen bestanden aus Innereien, Eingeweiden und Stücken von rohem Fleisch. Es war, als lauschte man einem Zug, der durch die Nacht fährt, und als der Kloakenstrom vorbeigerauscht war, sah ich, dass in dem venenartigen Rohr, dessen Innenseite nun von roten Perlen übersät war, auch ein paar verirrte Bröckchen des abgetrennten Fleisches zurückgeblieben waren.
    »Das kommt aus der Folterfabrik«, kicherte der unsichtbare Insasse der Zelle gegenüber, den mein misstrauischer, nach oben gerichteter Blick allem Anschein nach amüsierte. »Da gehen auch wir hin. Du und ich.«
    »Du vielleicht«, erwiderte ich. »Ich nicht.«
    »Ha! Verstehe … dein Anwalt holt dich hier raus, wie? Neue Beweise in letzter Minute?« Die Gestalt eines Mannes in zerlumpten Kleidern tauchte aus der Dunkelheit auf und grinste mich zwischen die Gitterstäbe hindurch an. »Vielleicht verwandeln sie dich ja auch in ein Buch«, fuhr er fort und deutete mit einem Nicken auf das Buch, das hinter mir auf dem Boden lag. »Das da haben sie dort auch gemacht.« Wieder ein Kichern. »Du hast immer noch dein Buch … das ist lustig. Was machst du damit? Arbeitest du an deiner Doktorarbeit? Hättest du gerne nen Titel?«
    »Hey … sind wir hier denn nicht auf derselben Seite?«
    »Seite?«
    »Vergiss es. Also … du sagst, sie machen diese Bücher in den Folterfabriken?«
    »Ja. Ich hab gesehen, wo sie sie herstellen. Ich hab mal in einer Druckerei gearbeitet, deshalb war das ziemlich interessant. Zuzusehen, wie sie sie binden und all das.« Er schnaubte. »Das wird mein drittes Mal in einer Folterfabrik. Ich lass mir von diesen Arschlöchern nichts gefallen. Es ist mir egal. Ich beuge mich denen bestimmt nicht.«
    »Hast du denn keine Angst?«
    »Klar hab ich Angst. Denkst du, ich bin verrückt? Aber alles, was mir hier noch geblieben ist, ist mein Stolz. Wenn ich den verliere, gewinnen die. Die können mich nicht brechen. Ich muss es ihnen allen zeigen … ich muss es dem

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