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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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Diese fünf jungen Männer litten aber nicht nur unter den immensen Schmerzen des Todes, immer und immer wieder, sondern auch – und das war noch schrecklicher – unter der Erwartung dieses Todes. Ob sie sich am Ende wohl daran gewöhnen würden? Oder sogar, ganz Zen-mäßig, einen Weg fanden, all das auszublenden und ihr Bewusstsein jenseits ihres Ichs zu projizieren? Oder würden sie sich auf ganz ähnliche Weise einfach in den Wahnsinn flüchten, aus dem sie möglicherweise nie wieder auferstehen würden?
    Mit übertriebener Ehrfurcht in der Stimme sagte Larry: »Wenn ich diese fünf Jungs ansehe, sehe ich keine Ermahnung, mich besser zu benehmen. Weißt du, was ich sehe?«
    »Was siehst du?«
    »Ich sehe Märtyrer. Wie Heilige …«
    Auf mich hatte das Geschehen eine verwirrendere, weniger eindeutige Wirkung. Ich hatte gesehen, was diese Männer Chara angetan hatten, wie sie sie gekreuzigt, einen Speer in ihren Körper gebohrt und sie dann einfach zum Sterben zurückgelassen hatten … sterben, wie sie selbst es nicht konnten – auch wenn sie vielleicht der Ansicht sein mochten, dass Chara in dieser Hinsicht die Glücklichere war. Und sie hatten sie mit diesem Speer geschändet, bevor sie ihn in ihr Fleisch gestoßen hatten. Sie war eine Frau. Und sie Männer.
    Und dennoch … sie war auch ein Dämon, ein Ungeheuer. Und sie waren Menschen. Zu Lebzeiten waren sie vermutlich keine Vergewaltiger, Verbrecher oder Terroristen gewesen, sondern ganz normale Typen mit ganz normalen Jobs, wie ich. Sollte ich sie dafür, dass sie mutig genug gewesen waren, einen Dämon anzugreifen und ihn trotz seiner Stärke und kämpferischen Fähigkeiten zu bezwingen, nicht ebenso als Helden betrachten wie Larry es tat?
    Larry streckte seine Hand hoch über seinen Kopf und machte das Peace-Zeichen, sodass die Gefangenen es sehen konnten und zumindest wussten, dass es auch Menschen gab, die ihre Mühen zu schätzen wussten und aufgrund ihrer Schmerzen Mitleid mit ihnen empfanden.
    Ich sah, dass die Augen des Mannes, der bald erneut erhängt werden würde, angezogen von Larrys Geste kurz zu ihm hinüberstreiften und anschließend nervös zu mir weiterwanderten. Ich schenkte ihm jedoch keine solche Geste.
    Auf dem Nachhauseweg hatte Larry die gefolterten Männer schon bald vergessen und betete eine Liste seiner Lieblingsfilme herunter – hauptsächlich unreife, frauenfeindliche Splatterstreifen. Ich war jedoch dankbar dafür, denn ich hätte ihm nur ungern offenbart, dass ich derjenige war, der den Dämon gerettet hatte, den seine fünf leidenden Heiligen gekreuzigt hatten.

Sechsundsechzigster Tag
    Heute »Morgen« weckte mich mein kleiner Aufziehwecker, den ich gestern auf sechs Stunden eingestellt habe. Ich habe die ganze Nacht durchgeschlafen, ohne auch nur einmal aus einem Albtraum zu erwachen oder einen besonders lauten Schrei von draußen zu hören. Außerdem fühle ich mich insgesamt wieder besser, seit das Fieber allmählich abklingt.
    Während ich mich für die Arbeit anzog, bildete ich mir ein, ein Rascheln oder eine Bewegung vor der Tür meiner Absteige zu hören. Ich vermutete, es sei die junge Assistentin des Besitzers, aber als ich mir mein Hemd über den Kopf zog und zur Tür ging, fand ich niemanden auf dem düsteren, schmalen Korridor dahinter.
    War denn jemand da gewesen? Doch nicht das Mädchen?
    Wem machte ich etwas vor? Chara würde nicht kommen, um mich zu besuchen. Nach allem, was ich wusste, hatte man sie längst geschnappt. Und hingerichtet …
    Ich kam zu spät zur Arbeit, weil ich einen Lavaschauer abwarten musste. Glücklicherweise hielt er nur kurze Zeit an. Ich rechnete damit, dass mein Gruppenleiter Bruce wütend auf mich sein würde, aber als ich mich meinem Arbeitsplatz näherte und sah, dass Bruce dort stattdessen ganz offensichtlich ziemlich eingeschüchtert auf mich wartete, verlagerten sich meine Befürchtungen in eine ganz andere Richtung: Mit ihm warteten ein Engel und ein Himmelsbote.
    Der Engel wandte sich mir zu, während Bruce die ganze Zeit über stumm blieb – ebenso der Himmelsbote. Nachdem meine Identität bestätigt war, stellte der Engel sich selbst vor: »Ich bin Inspektor Turner.« Und dann streckte er ungelogen seine Hand aus, damit ich sie schütteln konnte, was ich auch tat. Er hatte einen leichten Südstaatenakzent und eine tiefe, sanfte Stimme. Seine silbernen Koteletten waren das einzige Haar, das unter dem spitzen weißen Hut hervorlugte, den er trug. Er war kleiner als ich,

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