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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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untersetzt.
    Der Himmelsbote neben ihm war entschieden weniger derb gebaut. Während Inspektor Turner einst auch ein Mensch gewesen war, ähnelten Himmelsboten Dämonen insofern, als auch sie nie ein irdisches Leben gekannt haben – sie sind Golems ohne eine echte Seele. Dieses stumme Wesen hier war hochgewachsen, sehr schlank und trug nichts außer einer Art gemütlichen weißen Sarong um Hüften und Beine. Seine Brust darüber war flach und knochig. Es hatte keine Flügel, aber seine Haut war so weiß wie die eines Dämonenkriegers … eigentlich sogar noch weißer, denn sie schien über eine schwache Biolumineszenz zu verfügen. Dieses subtile Leuchten ließ es beinahe ein wenig verschwommen erscheinen. Sein Haar war ziemlich lang und eher weiß als blond … das Gesicht sehr hübsch, wenn auch mürrisch und so androgyn, dass ich sein Geschlecht kaum erkannt hätte. Doch er besaß keine Brüste. Allerdings hatte er, im Gegensatz zu menschenähnlichen Dämonen, nicht einmal Brustwarzen – oder einen Bauchnabel –, sodass das Geschlecht möglicherweise gar nicht von Bedeutung war. Seine Augen waren jedoch am beunruhigendsten: unnatürlich blau, seltsam flach – wie die Augen einer Figur in einem Videospiel – und noch verschwommener als seine phosphoreszierende Haut. Selbst wenn es seinen Kopf nur leicht bewegte, schienen seine Augen kurze Farbspuren in die Luft zu malen.
    »Was kann ich für Sie tun, Inspektor?«, fragte ich mit so höflicher und panikfreier Stimme, wie ich konnte.
    »Wieso unterhalten wir uns nicht in Mr. Golds Büro? Dort ist es nicht so laut. Was meinen Sie?«
    »Mr. Gold?«, fragte ich.
    »Ihr Aufseher. Mr. Gold.«
    Das war also sein Name? Ich hörte ihn zum ersten Mal. Ich sprach stets nur mit Bruce und wusste noch immer nicht mehr über den Sinn dieser Fabrik im Allgemeinen und meines Jobs im Besonderen als an meinem ersten Tag. Ich hegte den Verdacht, dass es gar keinen Sinn gab. Das Ganze war nur eine weitere Möglichkeit, um die Verdammten schuften zu lassen. Aber nach all dem zu urteilen, was ich bisher gehört hatte, war es immer noch besser, als in den glühend heißen Gießereien und Schmieden in der mehrstöckigen Kellerwelt unter Oblivion oder in den angrenzenden Minentunneln zu arbeiten, durch die das Erz aus den Schlacke-Bergen transportiert wurde. Wenn man freiwillig dort unten arbeitete, was viele taten, konnte man sich ein nettes Apartment leisten, vielleicht sogar ein eigenes kleines Haus. Viele schufteten dort hingegen nicht freiwillig: Wer arbeitslos, herumlungernd oder ziellos umherirrend aufgegriffen wurde, konnte dort als Sklave enden. So oder so würde ich auf jeden Fall bei meinem seltsamen Job bleiben und keine weiteren Fragen stellen.
    Turner führte mich in einen kleinen Raum, der von einem Schreibtisch aus zusammengeschweißten Metallplatten dominiert wurde und so verrostet war, dass er aussah, als habe man ihn mit geronnenem, geflocktem Blut angestrichen. Als der Himmelsbote die Tür hinter mir schloss, drehte ich mich um und sah, dass Bruce uns nicht länger begleitete. Ich hätte nie gedacht, dass ich dieses kleine Arschloch eines Tages mal vermissen würde.
    Turner gestikulierte in Richtung eines violetten Stuhls, und ich setzte mich. Er selbst quetschte sich hinter Mr. Golds unordentlichen Schreibtisch. Der Himmelsbote platzierte sich neben der Tür, was mich zusätzlich nervös machte, da er nun hinter mir stand und ich ihn nicht mehr sehen konnte, wenngleich ich mir einbildete, sein/ihr eiskaltes Leuchten zu spüren.
    »Ich habe ein paar Fragen an Sie, über einen Dämon namens Chara, der vor einer Weile zwei Engel in einem Etablissement namens Blue angegriffen hat.« Er sagte nicht vor ein paar »Tagen« – vielleicht teilte er die Zeit ja anders ein als ich.
    »Ich werde tun, was ich kann«, bot ich an, nachdem ich einen dicken Kloß hinuntergeschluckt hatte, von dem ich schon fürchtete, ich würde daran ersticken. Ich stellte mir vor, wie das ätherische Wesen mich von hinten festhielt, während der Engel vor mir irgendetwas Messerscharfes aus seinem Gewand zog.
    »Zu Lebzeiten war ich Polizist, wissen Sie«, fuhr Turner fort, lehnte sich in dem quietschenden Stuhl zurück und blätterte abwesend in ein paar rätselhaften Diagrammen und Schaubildern auf Golds Schreibtisch. »Zweiunddreißig Jahre … Montgomery, Alabama.«
    »Bin nie da gewesen. In Alabama.«
    »Ahh. Und woher kommen Sie?«
    »Eastborough,

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