Tagebuch eines Engels
»Echt?«
»Am Daumen passt er mir. Dann gehe ich davon aus, dass das kein Verlobungsring ist, ja?« Jetzt war sie es, die zwinkerte und tief durchatmete. Ist es das jetzt?, dachte sie. Ja, sagte ich. Das ist es jetzt. Sie sah Toby an. »Müsstest du mich jetzt nicht was fragen?«
Er kniete vor ihr nieder und nahm ihre Hand. »Margot Delacroix â¦Â«
»⦠ja?« Sie klimperte neckisch mit den Augen. Ich stand neben ihr und beobachtete ihn genau. Ich wollte, dass sie sich zusammenriss, den gebührenden Ernst an den Tag legte und diesen Moment in sich aufsog. Ich wäre so gern an ihrer Stelle gewesen, ich hätte so gerne von ganzem Herzen »Ja« gesagt.
»Margot Delacroix«, wiederholte Toby sehr ernst. »Streitsüchtige, unbeherrschte« â ihr Lächeln verschwand â »leidenschaftliche, lebhafte, wunderschöne Julia meines Herzens,« â ihr Lächeln kehrte zurück â »Frau meiner Träume, bitte, bitte schütte mir keinen Bottich mit heiÃem Ãl über den Kopf, sondern heirate mich lieber.«
Sie sah ihn an. Ihre Augen leuchteten. Sie biss auf ihrer Wange herum. Dann, endlich, sagte sie etwas. »Toby Poslusny. Romeo meiner Seele, in sich gekehrter Sklave der Literatur, am Märtyrer-Syndrom Leidender â¦Â« Er nickte. So weit musste er ihr recht geben. Aber es kam noch mehr. Sie lieà ihn warten. »⦠süÃer, liebevoller, geduldiger Toby.«
Dann verstrich eine ganze Minute.
»Margot?« Toby drückte ihre Hand. Seine Knie fingen an wehzutun.
»Hatte ich noch nicht Ja gesagt?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ja!« Sie sprang in die Luft. Er atmete erleichtert auf und rappelte sich hoch.
Sie bewunderte den Ring, und dann hatte sie eine groÃartige Idee. Oder, rückblickend betrachtet, wohl eher eine totale Schnapsidee.
»Komm, wir heiraten in Las Vegas!«
Ich schwöre es Ihnen, ich habe versucht, es ihr auszureden. Ich sang sogar das Lied der Seelen. Aber sie wollte davon nichts wissen.
Toby überlegte. Er hatte sich eigentlich eine Hochzeit in Weià vorgestellt. Nächstes Jahr, in einer malerischen Kapelle in England voller Lilien und Rosen. Mit Graham als Brautführer. Ich wusste genau, was sie sagen würde, und sprach die Worte tonlos mit. »Langweilig«, sagte sie. »Warum noch so lange warten?«
Toby lieà sich auf einen Kompromiss ein. Es sei ihm auf ewig zugutezuhalten, dass er sich wie ein Ehrenmann verhielt. Er suchte die nächste Telefonzelle auf, wählte Grahams Nummer und hielt um Margots Hand an.
Nein, Margot sei nicht schwanger, versicherte er ihm. Er liebte sie einfach nur. Und sie wolle keine Sekunde länger warten. Schweigen am anderen Ende der Leitung. Als Graham endlich etwas sagte, war seine Stimme tränenerstickt. Natürlich hätten sie seinen Segen. Er würde für die gesamte Zeremonie aufkommen sowie für eine Hochzeitsreise nach England. Margot quietschte »Danke!« und »Ich liebe dich, Papa!« in den Hörer. Nicht mal Zeit für eine vernünftige Unterhaltung hatte sie mehr, und dafür hätte ich ihr am liebsten in den Hintern getreten. Sofort zerrte sie Toby zum Auto. Der Hörer baumelte von der Schnur, und Grahams Glückwünsche verhallten ungehört.
So machten sie sich auf den Weg nach Vegas. Die Fahrt dauerte ja nur drei Tage. Sie schauten noch eben bei Sonya vorbei und besorgten das Hochzeitskleid (ein Kleid im Leopardenmuster, dazu rote Lackstilettos, beides geliehen). Ein goldener Kreolenohrring aus Margots Schmuckkasten musste als Tobys Trauring herhalten. Essen? Irgendwelche Reisevorbereitungen? Ach was, die beiden waren verliebt â was brauchten sie mehr?
Die Sonne wollte gerade hinter den fernen Bergen versinken, als Nan plötzlich hinten im Auto saÃ.
»Hey! Hallo Nan«, sagte ich. »Was willst du denn hier? Soll ich etwa verhindern, dass die beiden heiraten?« Unsere letzte Begegnung tat mir immer noch ein bisschen weh. Nan starrte finsteren Blickes geradeaus.
»Was ist los?«
Sie lehnte sich zu mir herüber, ohne den Blick von der dunkler werdenden Landschaft abzuwenden.
»Margot und Toby fahren mitten durch ein Stelzenhaus.«
Ich kniff die Augen zusammen. »Was ist ein Stelzenhaus?«
»Eine Ansammlung von Dämonen. Dieses Stelzenhaus ist besonders groÃ. Die Dämonen wissen, dass Toby und Margot unterwegs sind, um zu
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