Tagebuch eines Engels
tun ist. Sie sieht aus, als hätte sie seit Tagen kein Auge zugemacht.«
Da hatte sie recht. Margot hatte seit Tagen nicht geschlafen. Und Toby hatte es gar nicht mitbekommen.
Widerwillig gab er Margot die Tablette.
Kurze Zeit später lag sie zusammengerollt auf dem Sofa und schlief tief und fest.
Sonya kam aus der Küche und reichte Toby einen Becher Kaffee. »Tut mir leid, Toby, aber ich werde nicht zulassen, dass Margot sich an meinen Sachen vergreift. Das hier hat meiner Mutter gehört.« Sie hielt das Medaillon hoch.
Toby lieà sich neben Margot aufs Sofa sinken und weinte leise, während Sonya ihm die Wirkung der Droge erklärte und ihm sagte, was er jetzt tun müsse und wie sie Margot helfen könnten, davon loszukommen. Und zum ersten Mal dachte ich: Sie war eine echte Freundin. Die treueste von allen.
Ich konnte gut verstehen, dass sie an ihrer Forderung festhielt und darauf bestand, dass Toby und Margot auszogen, nachdem Margot zwei Wochen im Bett verbracht hatte. Zwei Wochen ohne Drogen. Sie versprach, dass sie befreundet bleiben würden. Sie half ihnen sogar beim Umzug in die neue Wohnung auf der 10th Avenue.
Nach diesem Absturz glich der Weg zurück nach oben einer Kletterpartie eine steile Felswand hinauf â und zwar ohne Seil und Haken. Margot weigerte sich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie setzte auf einen Entzug der alten Schule: im Bett, bei abgeschlossenen Türen, umgeben von Büchern, Wasser und Kissen, in die sie hineinbrüllen konnte, wenn die Entzugsschmerzen unerträglich wurden. Toby sorgte ganz ruhig für eine Routine aus regelmäÃiger Versorgung mit Kaffee und Kurzberichten aus der Welt da drauÃen. Pat Tabler wechselt von den Yankees zu den Cubs. Reagan hat heute die erste weibliche Richterin in den Supreme Court berufen. Simon and Garfunkel haben im Central Park ein Benefizkonzert gegeben. Nein, ich war nicht da. Ich wollte doch sicher sein, dass du immer genug Kaffee hast.
Als Margot sich langsam wieder aus dem Schlafzimmer und ihrer Abhängigkeit herauswagte, fand Toby Arbeit an einem Gymnasium in der Nähe. Auf Gaias Geheià fand er auch eine Aufgabe für Margot: Sie sollte sein neues Buch redigieren, bevor er es an diverse Verlage schickte. Margot blühte auf. Und ich auch. Es war ein Genuss, den Entwurf seines ersten Buches zu lesen â und es wunderte mich nicht, dass sich die erste Auflage binnen zwei Monaten verkaufte. Ich schaute Margot über die Schulter, machte Vorschläge, schärfte ihren Blick für einen noch geschliffeneren Text, lieà sie jede Szene, jede Figur hinterfragen. Und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit hörte sie auf mich.
Und dann kam ein Morgen, an den ich mich erinnerte. Schulkinder, die mit Kürbis- und Geistermasken durch die StraÃen rannten. Herbstlaub, das sich auf der AuÃentreppe sammelte. Du bist schwanger, verriet ich Margot. Nein, bin ich nicht , dachte sie. Na, dann mach doch mal einen Test, sagte ich. Wirst schon sehen.
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BOTSCHAFTEN IM WASSER
Es stimmt wohl doch, was man so sagt: Man kann das Muttersein beim zweiten Mal besser genieÃen.
Oder vielleicht war ich dieses Mal ganz einfach bereit dafür. Ich weià es nicht. Aber als ich jenes kleine Lichtkorn tief in ihr sah, beschwor ich sein Herz, mit seinen Morsezeichen zu beginnen und den zaghaften Lebensrhythmus aufzunehmen. Angsterfüllt beobachtete ich mindestens ein Dutzend Mal, wie Margots Körper jene sanfte Melodie eines neuen Lebens mit Viren, Giften, Hormonschwemmen ersticken wollte. Aber das Licht lieà sich nicht beirren. Es klammerte sich ans Leben wie an den Mast eines im Sturm sinkenden Schiffes.
Sie sagte es Toby. Gaia jubelte und sprang herum â ich hatte es ihr absichtlich noch nicht erzählt, weil ich so gerne ihre Reaktion sehen wollte â, und Toby trat einen Schritt zurück, sah die Enttäuschung in Margots Gesicht und hatte Mühe, seine Freude zu verbergen.
»Ein Baby? Oh, Mann. Das ist ⦠ich meine, das ist doch toll, oder? Findest du nicht?«
Margot zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme. Toby zog sie an sich.
»Ist schon in Ordnung, Liebling. Wir müssen es nicht behalten, wenn du nicht willst â¦Â«
Sie schob ihn weg. »Ich habâs gewusst. Du hast doch nie wirklich Kinder mit mir haben wollen.«
Eine Projektion ihrer eigenen Gefühle. Ich entfernte mich aus der grellen
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