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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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neben Margot im Bett lag und aufgrund der Zeitverschiebung nicht schlafen konnte, beobachtete er sie und dachte über Grahams Ansinnen nach. Er überlegte sich bereits, wie er es ihr beibringen würde. Dann dachte er an das, was Graham über Margot gesagt hatte. Es ist leichter, einen Kolibri mit dem Lasso einzufangen, als aus Margot eine Ehefrau zu machen. Er kicherte. Und dann, wie aus dem Nichts, baute sich eine Eiswand um ihn herum auf. Gaia und ich sahen einander an. Die Wand war dicker als je zuvor, hart und gläsern. Wir beobachteten Toby dabei, wie er Margot betrachtete, und mir wurde klar, dass er ein verdammt großes Risiko einging, als er mich heiratete. Tobys größte, lähmende Angst war, mich zu verlieren, und zwar nicht nur aufgrund des Versprechens, das er Graham gegeben hatte. Ich habe schon immer gewusst, dass er sehr früh seine Mutter verloren hatte, aber erst jetzt sah ich, dass dieser Verlust sein ganzes Leben bis in die letzte Faser durchdrungen hatte. Alles, woran er glaubte, war davon bestimmt. Alle seine Ansichten beruhten darauf. Was, wenn Margot ihn tatsächlich verließ? Was, wenn alles irgendwann vorbei war? Was dann?
    Von da an konzentrierte ich mich ausschließlich darauf, dafür zu sorgen, dass diese Beziehung funktionierte. Ich würde jeden Tag, und wenn es sein müsste den ganzen Tag, das Lied der Seelen singen. Ich würde ihr Tobys Vorzüge ins Ohr flüstern und ihr sagen, was sie tun musste, damit diese Ehe nicht zur Hölle wurde, sondern der Himmel auf Erden.
    Aber was erzähle ich? Woher wollte ich wissen, was zu tun war?
    Eine Woche später reisten sie wieder ab. Margot verabschiedete sich nur widerwillig und tränenreich von ihrem Papa – allerdings nicht am Flughafen, sondern bei ihm zu Hause. Am Flughafen wirkte er inmitten der vielen Menschen und des Trubels so klein und verloren – zu Hause in der gewohnten Umgebung kam er ihr weniger gebrochen vor und viel lebendiger.
    Als Margot und Toby nach New York zurückkehrten, warteten ein paar Überraschungen auf sie: Toby hatte die Stelle an der Universität nicht bekommen, und seine Seminare waren abgesagt worden. Er wurde nicht mehr gebraucht. Zudem war seine Wohnung über dem Café Teil des Lokals geworden. Was einst sein Wohnzimmer war, stand nun voller Esstische und Speisekarten. Tobys Sachen hatte man in Pappkartons geworfen und in der Küche neben der Fleisch-Gefriertruhe gestapelt, sodass seine Bücher und anderen Unterlagen jetzt für immer nach toter Kuh riechen würden.
    Sie hatten zwei Möglichkeiten: Entweder zog Toby bei Margot über dem Buchladen ein, oder sie zogen beide zu Sonya. Diese hatte ihnen die oberste Etage ihres Hauses angeboten, bis Toby Arbeit fände. Sie schafften Tobys Sachen zu Sonya und fühlten sich eine Zeit lang auch richtig wohl. Sonya ließ die beiden in Ruhe. Margot kellnerte weiter im Irish Pub und sparte heimlich alle 25-Cent-Stücke für ein weiteres Flugticket nach England. Toby war immer bis zum Morgengrauen wach, rauchte auf dem Balkon, beobachtete die Leute in den gegenüberliegenden Häusern und quälte sich mit dem schlimmsten der jüngsten Ereignisse – seiner Schreibblockade.

    Der junge Kerl fing Margot auf dem Weg zur Arbeit ab. Sie hatte vor Kurzem die Uni geschmissen – erzählte aber jedem, sie pausiere nur ein Jahr, und redete sich das wohl auch selbst ein – und arbeitete sieben Tage die Woche, um eine Anzahlung für eine Wohnung zusammenzusparen. Aber sie fühlte sich einsam, war deprimiert und hatte Heimweh. Toby versuchte, seinen Roman fertig zu schreiben – ein literarisches Werk in Briefform über einen tragischen Helden, der es nicht schafft, seine Versagensangst zu überwinden –, gleichzeitig suchte er Arbeit. Selbst am Hafen versuchte er es. Die Typen in den schmutzigen Overalls sahen ihn nur einmal kurz an und sagten ihm dann, er solle sich verpfeifen. Sie brauchten keinen, der Essays schrieb. Sie brauchten jemanden, der vierzig Kilo schwere Kohlesäcke von A nach B schleppen konnte, und das hundertmal am Tag.
    Und darum hatten Luciana und Pui das Auftauchen dieses jungen Mannes perfekt gewählt. O ja, die beiden gab es noch, trotz Sonyas neuerlicher Bekehrung zu Religion und einer gesunden Lebensweise. Sie war jetzt Buddhistin und ernährte sich vegan. Zwar nervte sie mit ihrem ständigen missionarischen Eifer (»Wusstest du nicht,

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