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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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Sonne und hüllte mich in Schatten.
    Â»Ich habe schon versucht, es loszuwerden«, seufzte sie. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie log. Sie wollte ihn auf die Probe stellen.
    Tobys Miene verzog sich. Er schwieg. Er sah sie sehr ernst an. Hier ging das mit dem Erdrutsch los, dachte ich.
    Â»Ist das wahr?«
    Â»Hmhm. Ich … habe versucht, die Treppe runterzufallen. Hat nicht funktioniert.« Auch das war gelogen. Sie schlang die Arme um sich selbst.
    Ã„rger und Erleichterung zeichneten sich auf Tobys Gesicht ab. Er schloss die Augen. Gaia legte die Arme um ihn und sagte: Sie muss wissen, dass du sie nicht verlässt.
    Er ließ sie zum Fenster gehen. Mit schlaffen Armen stand er da. »Ich verlasse dich nicht, Margot. Schließlich ist das unser Baby.« Und dann, etwas weniger überzeugt: »Das ist unsere Ehe.«
    Ganz vorsichtig ging er auf sie zu. Da sie nicht zurückwich, schlang er von hinten die Arme um sie und legte die Hände auf ihren Bauch.
    Â»Das ist unser Baby«, wiederholte er leise, und sie lächelte, drehte sich ganz langsam zu ihm um und ließ seine Umarmung zu.
    Während Margots Schwangerschaft erinnerte ich mich mit oft schmerzhafter Deutlichkeit an all die Dinge, die ich – zwischen Schamgefühl und freudiger Aufregung schwankend – getan hatte, um der Wirklichkeit aus dem Weg zu gehen. Ich schämte mich wegen des Marihuanas, das sie rauchte, während Toby bei der Arbeit war, ich schämte mich angesichts des Selbstbetrugs (Wenn ich mich entspanne, bekommt das Baby mehr Vitamine usw.). Ich schämte mich, wenn ich sah, wie die Wirkung der Drogen immer tiefer in sie eindrang, bis in das kleine, schwache Licht. Ich schämte mich der Gedanken, die sie hegte. ( Vielleicht sollte ich wirklich mal versuchen, die Treppe runterzufallen, vielleicht habe ich ja Glück und verliere das Kind usw.) Und dann, nach und nach, wurde Margot immer aufgeregter. Und ich auch. Wir waren beide ganz aus dem Häuschen, als Theos Gesicht im Licht in Margots Bauch Schatten warf, als er zu Margots vollkommener Überraschung ein Füßchen gegen ihre Bauchdecke stemmte, als ihr schlagartig bewusst wurde, dass sich da tatsächlich ein Baby in ihrem Bauch befand. Dass das alles wirklich passierte. Daraufhin beschloss Margot, einen Spaziergang im Inwood Hill Park zu machen, um frische Luft zu schnappen und etwas anderes zu sehen. Das tat sie bald jeden Tag.
    Ich erkannte die alte kastanienbraune Wohnungstür gegenüber wieder, von der sich von unten her die uralte Farbe in langen Streifen ablöste. Margot hatte beobachtet, dass Zeitungen und Milch geliefert wurden, daher war sie sicher, dass dort jemand wohnte. Hin und wieder brannte spät in der Nacht im Wohnzimmer Licht, doch am nächsten Morgen war es wieder aus. Die Vorhänge waren immer zugezogen. In einem Viertel wie diesem kochte jeder sein eigenes Süppchen. Margot zögerte. Ob sie mal nachsehen sollte? Ja , sagte ich. Sie sah auf ihren dicken Bauch hinunter. Ist schon in Ordnung, Kleines, sagte ich. Wird nicht wehtun. Na, los. Geh schon.
    Die Tür stand einen Spalt offen. Trotzdem klopfte sie vorsichtshalber an. Keine Reaktion. »Hallo?«, rief sie. Sie öffnete die Tür ein bisschen weiter. An ihren Fingerspitzen haftete Staub. »Jemand zu Hause?«
    Der Gestank haute sie fast um. Abfall, Feuchtigkeit und Exkremente. Sie japste und hielt sich die Hand vor Mund und Nase. Ich zögerte. Ja, ich wusste, wer hier wohnte, aber jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich diese Begegnung fördern sollte. Doch dann erreichte mich über das Wasser auf meinem Rücken eine Botschaft: Sie wird hier gebraucht. Schick sie rein.
    Ehe Margot beschließen konnte, wieder zu gehen, hörte sie eine keuchende Stimme: »Wer ist da?«
    Es war eine weibliche Stimme. Die Stimme einer sehr alten, sehr kranken Frau. Rose Workman. Ich rauschte an Margot vorbei in den dunklen, bereits vergessenen Raum zu der Gestalt auf dem Sofa. Ich wollte Roses Gesicht sehen, so zerknittert wie ein Stück Papier, das man zerknüllt und wieder glatt gestrichen hatte, die schweren Ringe an ihren langen schwarzen Fingern, die wie Münzen auf ihren Knöcheln balancierten und von denen jeder seine eigene Geschichte erzählte. Geschichten, die mich nie wieder loslassen würden.
    Die Gestalt auf dem Sofa war nicht Rose Workman. Ein dicker weißer Mann mit nacktem Oberkörper schlug

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