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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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für sie war und sie im Grunde gar kein Kind wollte – und fragte, nein schrie, ob sie jetzt bitte nach Hause gehen könne?
    Die nächste Wehe erwischte sie mit voller Wucht.
    Â»Nein, Mrs. Poslusny«, antwortete Schwester Mae entschieden. »Pressen Sie nur noch einmal, dann ist es geschafft. Wenn sie ihren Atem aufs Pressen statt aufs Schreien verwenden könnten, dann wäre das Kind sicher etwas schneller da. Danke.«
    Margot schrie Zeter und Mordio. Toby ging im Flur vor dem Kreißsaal auf und ab und betete zum ersten Mal seit Jahren .
    Schwester Mae tastete Margot ab, um die Lage des Babys festzustellen. Es war immer noch sehr weit oben im Geburtskanal. Doch was sie ertastete, war kein Kopf, sondern ein Bein.
    Sie sah Margot an. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie und rauschte hinaus, um einen Arzt zu holen.
    Die nächste Wehe rollte über Margot hinweg wie ein Panzerfahrzeug. Ich konnte mich noch deutlich daran erinnern, wie sich das anfühlte. Es heißt immer, man vergisst das alles, aber das tut man nicht. Und als ich mir das jetzt alles noch einmal mit ansah, wurde dem Gedächtnis damit erst recht auf die Sprünge geholfen. Ich sah, wie die blutigen Reißer der Wehe sich festbissen, schloss die Augen und legte Margot die Hand aufs Becken. Und dann stand plötzlich noch ein Engel neben mir. Ein junger Mann, Anfang zwanzig, mit cappuccinofarbenem Haar, das ihm um den Kiefer strich, und einem ruhigen, intensiven Blick. Er kam mir irgendwie bekannt vor. Ich sah ihn mir mit zusammengekniffenen Augen an.
    Â»Kennen wir uns nicht?«
    Er betrachtete die Vorgänge auf dem Krankenbett und zuckte zusammen. »James«, stellte er sich knapp vor, ohne den Blick von Margot abzuwenden. »Ich bin Theos Schutzengel.«
    Margot schrie wieder. Sie versuchte, von dem Bett runterzukommen.
    Warte, wies ich sie an. Ich versuche, Theo zu drehen.
    Â»Theo?«, stöhnte sie. Ich sah auf. Sie hatte mich gehört. Und dann der nächste Schock: Sie sah mich an, als könne sie mich tatsächlich sehen.
    Â»Bitte, Schwester«, flehte sie und streckte die Hand nach mir aus. »Geben Sie mir was gegen die Schmerzen. Irgendwas. Ich halt das nicht mehr aus.«
    Ich machte verdammt große Augen. Es war mindestens zehn Jahre her gewesen, seit sie mich zuletzt hatte sehen können. Die Frage blitzte in mir auf, als was sie mich wohl sah. Dann schrie sie schon wieder und riss mich aus meinen Gedanken.
    Â»Wir haben hier eine Steißlage«, sagte ich ganz ruhig. »Ich werde jetzt versuchen, ihn zu drehen. Bitte versuchen Sie, so ruhig wie möglich zu bleiben.« Ich warf einen kurzen Blick zur Tür. Vom Flur hörte ich Stimmen. Die Schwester kam mit dem Arzt zurück.
    Â»Woher wissen Sie, dass es ein Junge ist?«, keuchte sie.
    Ich ignorierte die Frage und legte Margot die Hand auf den oberen Bauch. Ich sah zu James, der verängstigt wirkte. »Komm hier rüber«, sagte ich. »Du bist doch Theos Engel, oder?«
    James nickte.
    Â»Dann bring den kleinen Kerl dazu, sich umzudrehen.«
    James legte seine Hände auf meine, schloss die Augen, und schon wurde Margots Körper von goldenem Licht durchflutet. Ich versuchte, ihre Schmerzen wenigstens teilweise zu absorbieren, wie ich es schon so oft getan hatte. Ich kniff die Augen zu, und als die nächste Wehe anrollte, packte ich sie, zog daran wie an einer Metallstange und riss sie an mich. Und genau so, wie Rose in mich hineingegangen war, bewegte sich diese Metallstange durch mich hindurch zu meinen Flügeln, dann durch diese hindurch und von dort aus in irgendeinen anderen Teil des Universums. Margot seufzte erleichtert.
    Jetzt konnte ich das Baby sehen, den kleinen Theo, der völlig verängstigt und verstört mit dem Kopf nach unten in den Geburtskanal sank. Margot fing wieder an zu schreien, als die Wehen über sie hereinbrachen wie einstürzende Hochhäuser. Ich legte ihr die Hand aufs Herz.
    Du musst ganz ruhig bleiben. Du musst Theo helfen und ganz langsam atmen. Langsam. Langsam.
    Sie atmete so langsam und tief, wie sie konnte, und just in dem Moment, in dem James das Baby endgültig in die richtige Lage brachte, kamen die Schwester und der Arzt herein.
    Â»Du meine Güte!«, rief die Schwester, denn der Kopf des Babys war bereits da. Und im selben Moment presste Margot ein letztes, kräftiges Mal und entließ das Kind mit dem Kopf zuerst aus ihrem

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