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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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passierte etwas, das ich nicht verstand. Rose stellte sich direkt vor mich, ganz ruhig, und lächelte. Sie sah mich direkt an.
    Â»Ich bin bereit«, sagte sie. »Erlöse mich von diesem Mann. Bring mich nach Hause.«
    Sie streckte die Hand aus, und ich ergriff sie. Ich spürte, wie sie in mich hinein und durch meine Flügel ging, und dann war sie weg.
    Ich verbrachte die Nacht in Roses Wohnung, ging unruhig auf und ab, betrachtete die Fotos, die ihr so viel bedeutet hatten, weinte angesichts der leeren Küchenregale, der zahmen Ratten unter ihrem Bett, des schmutzigen Wassers, das aus dem uralten Hahn sprotzte. Ich versuchte, dahinterzukommen, warum sie ausgerechnet hier gewohnt hatte, warum sie es zugelassen hatte, dass ein Dämon derartig von ihr Besitz nahm. Warum sie nicht das Leben gelebt hatte, das für sie vorgesehen gewesen war. Vergeblich.
    Ich tat, was zu tun war. Als Margot am folgenden Tag in die Wohnung kam und Rose zusammengerollt und tot auf dem Sofa vorfand, als sie sich auf dem Boden die Augen aus dem Kopf heulte, schlang ich die Arme um sie, flüsterte ihr zu, sie solle jetzt stark sein, beruhigte sie und erinnerte sie an die Notizbücher. Margot rief den Krankenwagen, dann ging sie in Roses Schlafzimmer und öffnete den Schrank. Darin fand sie keine Kleider, sondern Dutzende von Notizbüchern, die Rose mit ihrer Handschrift gefüllt hatte. Sie packte alle Bücher in mehrere Koffer und bat Toby, ihr dabei zu helfen, sie rüber in die eigene Wohnung zu bringen, bevor der Krankenwagen kam.
    Einige Zeit später rief Tobys Verleger an. Er zeigte Interesse an Roses Notizbüchern, die allerdings noch gründlicher Redaktion bedürften, wofür er leider keine Zeit habe. Ob Margot am nächsten Tag vorbeikommen könne? Sie sah auf den kleinen Planeten hinunter, der sich aus ihrem Bauch wölbte, und hoffte inständig, das Baby möge noch eine Weile drinbleiben. Ja, sagte sie. Ja, ich habe Zeit.
    An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass sich damit ein lang gehegter Traum erfüllte. Ein Traum, der über lange Zeit wie ein Geheimnis, das ich niemandem verraten durfte, in mir herangewachsen war, fast wie das Baby. Ich hatte nie eine konkrete Vorstellung davon, was ich mal werden wollte, wenn ich erwachsen war – wahrscheinlich war ich mir einfach nie sicher gewesen, wann ich offiziell erwachsen sein würde. Aber jetzt, nachdem ich so viele von Irinas und Grahams Büchern verschlungen hatte, so viele Stunden damit zugebracht hatte, Tobys Romane auseinanderzunehmen, um zum Kern der Geschichte vorzudringen, zur eigentlichen Blüte in der Knospe, jetzt wusste ich ganz genau, was ich machen wollte.
    Ist es nicht kurios, dass ich in meinen Traumjob quasi hineingestolpert bin? Ich hatte ihn nicht einmal gesehen. Zumindest damals nicht. An jenem Morgen spazierte ich zuversichtlich und zielstrebig neben Margot her. Süße, sagte ich, wenn ich mein Leben noch mal von vorne leben könnte, dann wäre diese eine Sache etwas, das ich nicht anders machen würde. Endlich entwickelten sich die Dinge so, wie sie sollten.
    Der Verlag befand sich über dem berühmten Feinkostladen an der Fifth Avenue – dem, den Margot einige Jahre zuvor so eindrücklich entweiht hatte. Sie hielt sich etwas vors Gesicht, als sie am Ladenbesitzer vorbeikam, dann gingen wir zu Fuß hoch bis in den dritten Stock.
    Hugo Benet, Geschäftsführer von Benet Books und der Mann mit den weißesten, geradesten und größten Zähnen, die ich je gesehen hatte, war ein altgedienter Verleger. Trotz aller Bemühungen war es ihm in all den Jahren, die er fern seiner Heimat Toronto verbracht hatte, nicht gelungen, eine vernünftige Assistentin zu finden. Die Notizbücher seien ein höchst interessanter Fund, erklärte er Margot. Sie würden die ersten Bände veröffentlichen, sobald sie redigiert worden seien. Ob sie daran interessiert sei, das zu übernehmen?
    Sie war sich nicht sicher.
    Selbstverständlich bist du interessiert, sagte ich.
    Â»Selbstverständlich bin ich interessiert«, sagte sie und spürte im selben Moment das Fruchtwasser, das ihr langsam am Oberschenkel hinablief, dann einen krampfartigen Schmerz im Bauch. Sie unterdrückte einen Schrei.

– 19 –
    DER BUS
    Zehn Stunden lag Margot nun schon in den Wehen, jetzt hatte sie keine Lust mehr. Sie gelangte zu der Erkenntnis, dass Mutterschaft nichts

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