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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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alle aufgeschrieben habe. Und damit habe ich nie aufgehört.«
    Â»Und wo sind diese Notizbücher jetzt?«, fragte Margot.
    Rose winkte ab. »Nein, nein. Die grabe ich jetzt nicht aus. Viel zu viele!«
    Margot hob ein sauberes Notizbuch mit hartem Einband vom Boden auf. »Ist das dein neuestes?«
    Rose hielt ihre krummen Finger hoch. »Ja, aber ich habe solche Schmerzen in der Hand. Kann nicht mehr schreiben.«
    Margot fing an, laut vorzulesen. Während sie las, öffneten sich fächerartig immer neue Parallelwelten aus Roses Aura heraus – bis der ganze Raum voll davon war. Auf einer riesigen Bildermontage sah ich Rose als Kind, wie sie von ihren Eltern, die eine Pension in Louisiana betrieben, herbeigerufen wurde, auf dass sie den Gästen Geschichten erzähle, als junge Mutter, die neben dem Kinderbettchen sitzend Erzählungen aufschrieb, und schließlich als die Rose von heute, nur dünner und gesünder, wie sie unter den markanten Fenstern der Bibliothek der Columbia University sitzt, umringt von Männern in dunklen Anzügen und Frauen in feinen Kleidern, und lächelt, als solle sie fotografiert werden, und wie ihr dann eine Urkunde überreicht wird. Ich kniff die Augen zusammen, um den Text entziffern zu können, und staunte nicht schlecht: der Pulitzer-Preis für Romane.
    Dann riss die Vision ab und ging über in eine Nahaufnahme derselben Urkunde, die gerahmt in Roses Wohnzimmer an der Wand hing – es war aber nicht das Wohnzimmer, in dem sie jetzt saß. In der Vision war es dreimal so groß, es gab einen marmornen Kamin, Teppichboden und Elfenbein, und vor den Erkerfenstern hingen Satingardinen. Eine Hausangestellte wischte die endlose Reihe goldgerahmter Fotos von Roses geliebten Söhnen und Enkelkindern ab. Was mir dabei am meisten an die Nieren ging, waren die Anlässe der Aufnahmen: ihre Söhne bei der Abifeier, beim Militär, bei Präsident Reagan. Soweit ich weiß, hat keines ihrer Kinder je Abitur gemacht.
    Die Vision verschwand, und ich stand verwirrt und atemlos da, bis ich bemerkte, dass Ram wieder da war.
    Margot blätterte durch Roses Notizbuch. »Das ist unglaublich«, sagte sie. »Wieso hast du das nie veröffentlicht?«
    Ram, der neben Rose saß, nahm zärtlich ihre Hand.
    Â»Du hast nicht genug Talent, Rosie.«
    Rose wiederholte kopfschüttelnd das Gesagte. »Ich habe nicht genug Talent, mein Kind.«
    Â»Bücher sind nur was für die Reichen, aber nicht für dich.«
    Rose, wie ein Roboter: »Bücher sind nur was für die Reichen, nicht für solche wie mich.«
    Â»So ein Quatsch«, mischte Margot sich ein. Ram sah sie böse an. »Das hier ist wunderschön. Du schreibst ganz phantastisch.«
    Ram wurde lauter. »Geld interessiert dich nicht. Geld macht aus guten Menschen schlechte Menschen.«
    Roses Ausdruck verfinsterte sich. Sie wiederholte, was Ram gesagt hatte.
    Margot sah sie verwirrt an. »Tut mir leid, dass du das so siehst«, sagte sie leise. Und dann hatte sie eine Idee, mit der ich nicht das Geringste zu tun hatte. »Darf ich deine Notizbücher mitnehmen und sie meinem Mann zeigen? Er schreibt auch.«
    Ram erhob sich. Er riss das stinkende Maul auf und bellte Margot an. Rose hielt sich die Ohren zu, als hätte sie einen Anfall. Margot streckte die Hand nach ihr aus.
    Â»Was ist denn los, Rose?«
    Rose wimmerte. »Geh einfach. Bitte.«
    Margot wollte ihre Hand nehmen, aber Rose zog sie zurück, schlug die Hände vors Gesicht und weinte.
    Margot ging einen Schritt in Richtung Tür. Ram sah zu dem alten Holzventilator hinauf, der direkt über ihr hing. Ich tat einen Schritt nach vorn. »Untersteh dich«, sagte ich. Er grinste süffisant, sprang hoch und zerrte an dem Ventilator. Schnell!, rief ich Margot zu, dann warf ich mich auf Rams Schwabbelbauch und brachte ihn zu Fall. Der Staub von bröselndem Gips rieselte zu Boden. Rose heulte. Margot schnappte sich das Notizbuch von Roses Schoß und türmte. Ram rappelte sich auf und funkelte mich böse mit aufgeblähten Nasenflügeln an. Er beugte die Knie und wollte mich gerade angreifen, als das Wasser auf meinem Rücken sich ohne jede Vorwarnung in Feuer verwandelte. Ram klappte die Kinnlade herunter, dann kauerte er sich zusammen, und schließlich versteckte er sich wie eine Kakerlake in dem Bilderrahmen, aus dem Roses erster Mann lächelte.
    Und dann

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