Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
einigen Stunden mehr bedauern würde, als sie sagen konnte.
Kapitel Vier
» Du zitterst ja. Lass es mich allein machen«, sagte Meredith und legte Bonnie eine Hand auf die Schulter. Sie standen zusammen vor Caroline Forbes’ Haus.
Bonnie war kurz versucht, dem sanften Druck ihrer Freundin nachzugeben. Aber es war demütigend, an einem Morgen Ende Juli in Virginia so offensichtlich zu zittern. Es war auch demütigend, wie ein Kind behandelt zu werden. Aber Meredith, die nur sechs Monate älter war, wirkte heute noch erwachsener als gewöhnlich. Sie hatte sich das dunkle Haar zurückgebunden, sodass ihre Augen sehr groß wirkten und ihr olivenfarbenes Gesicht mit den hohen Wangenknochen aufs Beste zur Geltung kam.
Sie könnte praktisch mein Babysitter sein, dachte Bonnie mutlos. Meredith trug auch noch hohe Absätze statt ihrer gewohnten flachen Schuhe. Bonnie fühlte sich neben ihr kleiner und jünger denn je. Sie fuhr sich mit einer Hand durch ihre rotblonden Locken und versuchte, sie aufzubauschen, sodass sie wenigstens einen kostbaren Zentimeter größer wirkte.
» Ich habe keine Angst. Mir ist nur k-kalt «, sagte Bonnie mit aller Würde, die sie aufbringen konnte.
» Ich weiß. Du spürst, dass etwas von dort kommt, nicht wahr?« Meredith deutete mit dem Kopf auf das Haus vor ihnen.
Bonnie betrachtete es von der Seite, dann sah sie wieder Meredith an. Plötzlich war Meredith’ Reife eher tröstlich als ärgerlich. Aber bevor sie noch einmal zu Carolines Haus hinüberblicken konnte, stieß sie hervor: » Warum trägst du eigentlich High Heels?«
» Oh«, sagte Meredith und schaute an sich hinab. » Aus rein praktischen Erwägungen. Wenn diesmal irgendetwas versucht, meine Füße festzuhalten, bekommt es das da.« Sie stampfte auf und auf dem Gehsteig ertönte ein befriedigendes Klacken.
Bonnie lächelte beinahe. » Hast du auch deine Schlagringe dabei?«
» Die brauche ich nicht; ich werde Caroline mit bloßen Händen niederschlagen, wenn sie irgendetwas versucht. Aber lenk nicht ab. Ich kann das wirklich allein machen.«
Bonnie gestattete sich endlich, ihre eigene kleine Hand auf Meredith’ schlanke, lange Finger zu legen. Dann drückte sie ihrer Freundin die Hand. » Das weiß ich. Aber ich bin diejenige, die es tun sollte. Schließlich war ich es, die sie eingeladen hatte, mit uns Elena zu besuchen– wo dann alles so… furchtbar endete.«
» Ja«, erwiderte Meredith mit einem leichten, eleganten Zucken ihrer Lippen. » Sie hat schon immer gewusst, in welche Wunde sie das Messer stoßen muss. Nun, was auch immer geschieht, Caroline hat es sich selbst zuzuschreiben. Zuerst werden wir versuchen, ihr zu helfen, um ihretwillen und um unsertwillen. Dann versuchen wir, sie dazu zu bringen, Hilfe zu holen. Danach…«
» Danach«, fiel Bonnie bekümmert ein, » lässt sich nicht sagen, was geschehen wird.« Wieder schaute sie zu Carolines Haus hinüber. Es sah irgendwie… schief aus, als betrachte sie es durch einen Zerrspiegel. Außerdem hatte es eine schlechte Aura: schwarze Streifen auf einem hässlichen blassgrünen Hintergrund. Bonnie hatte noch nie zuvor ein Haus mit so starker Energie gesehen.
Und sie war kalt, diese Energie, wie der Atem aus dem Kühlhaus einer Schlachterei. Bonnie hatte das Gefühl, als würde sie ihr die Lebenskraft heraussaugen und in Eis verwandeln, sollte sie die Chance dazu bekommen.
Sie ließ Meredith klingeln. Die Klingel hatte ein leichtes Echo, und als Mrs Forbes antwortete, während sie die Tür öffnete, schien auch ihre Stimme ein leichtes Echo zu haben. Innen sieht das Haus ebenfalls aus wie von Spiegeln verzerrt, dachte Bonnie. Aber noch seltsamer war das Gefühl, das sie hatte, wenn sie die Augen schloss. Mit einem Mal erschien ihr das Haus viel größer und der Boden fiel stark nach unten ab.
» Ihr seid gekommen, um Caroline zu sehen«, sagte Mrs Forbes. Ihr Aussehen schockierte Bonnie. Carolines Mutter wirkte mit ihrem grauen Haar und dem verkniffenen weißen Gesicht wie eine alte Frau.
» Sie ist oben in ihrem Zimmer. Ich werde euch hinaufbegleiten«, fügte Carolines Mutter hinzu.
» Aber Mrs Forbes, wir wissen, wo…« Meredith brach ab, als Bonnie ihr eine Hand auf den Arm legte. Die verblühte, eingefallene Frau ging voran. Sie hat fast überhaupt keine Aura, stellte Bonnie fest und war bis ins Mark erschüttert. Sie kannte Caroline und ihre Eltern schon so lange– wie hatte sich deren Verhältnis zueinander nur derartig entwickeln können?
Ich
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