Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
als der Hindernislauf, dachte Matt. Und als
das Basteln dieses Zeitungspapier-Hauses. Und als über das Feuer zu
laufen. Das hier ist eindeutig die schlimmste Bewährungsprobe. Zu-
mindest bis jetzt.
Er drehte die Zahnbürste in der Hand, um auch in die kleinste Lücke
zwischen der vertäfelten Wand und dem Boden des geheimnisvollen
Kellerraums der Vitale Society zu gelangen. Anschließend war die Zahn-
bürste schwarz von uraltem Dreck und von herabbaumelnden Spinn-
weben übersät. Matt verzog angewidert das Gesicht. Sein Rücken
schmerzte bereits von der geduckten Haltung.
»Wie läuft’s, Soldat?«, fragte Chloe und hockte sich neben ihn, einen
tropfnassen Schwamm in der Hand.
»Ehrlich, ich bin mir nicht sicher, wie uns das Schrubben hier helfen
soll, Ehre und Anführerqualitäten und all die anderen Sachen zu entwick-
eln, von denen Ethan ständig spricht«, antwortete Matt. »Wahrscheinlich
geht es nur darum, ein paar Dollar für den Putzservice zu sparen.«
»Nun, es heißt doch: Ordnung ist das halbe Leben«, rief sie ihm ins
Gedächtnis und lachte. Er mochte ihr Lachen, schäumend und silberhell.
Gleichzeitig verdrehte er innerlich die Augen. Schäumend und silber-
hell. Sie hatte ein nettes Lachen, das war alles.
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Seit Christophers Tod hatten sie eine Menge Zeit zusammen verbracht.
Matt hatte gedacht, dass es für ihn gar nicht mehr schlimmer kommen
könnte, als mit Christophers ganzen Sachen vor Augen leben zu müssen,
die ihm immer wieder aufs Neue bewusst machten, dass Chris selbst tot
war. Aber dann kamen Chris’ Eltern, packten alles zusammen und
klopften Matt sanft auf die Schulter, als verdiene er irgendeine Art von
Mitleid, obwohl sie ihren einzigen Sohn verloren hatten. Und jetzt war
das leere Zimmer ohne Christophers Sachen noch Millionen mal
schlimmer.
Meredith, Bonnie und Elena hatten versucht, ihn zu trösten. Sie wün-
schten sich so sehr, dass es ihm wieder gut ging. Aber alle ihre Bemühun-
gen bescherten ihm nur ein schlechtes Gewissen, weil es ihm nicht gut
ging. Und das machte es ihm schwer, mit ihnen zusammen zu sein.
Chloe hatte sich angewöhnt, bei ihm vorbeizukommen, mit ihm
rumzuhängen oder ihn in die Mensa oder sonst wo hinzuschleppen. Sie
hatte dafür gesorgt, dass er nicht den Kontakt zu seiner Umwelt verlor,
auch wenn ihm danach zumute gewesen war, sich zu verbarrikadieren. Sie
hatte etwas so Unbefangenes an sich. Elena, das einzige Mädchen, das er
je geliebt hatte – bis jetzt, flüsterte ein Teil von ihm –, war viel an-
strengender gewesen . Schuldbewusst zuckte er innerlich zusammen –
aber es war nun mal die Wahrheit.
Jetzt endlich begann er aus seiner Schockstarre zu erwachen und sich
wieder für die Welt um ihn herum zu interessieren. Und voller Überras-
chung bemerkte er immer wieder das niedliche Grübchen, das Chloe in
ihrer rechten Wange hatte, oder wie glänzend ihr lockiges dunkles Haar
war. Selbst ihre Hände fand er zierlich und hübsch, obwohl sie oft voller
Farbflecken waren.
Doch bis jetzt waren sie einfach nur Freunde. Vielleicht … vielleicht war
es Zeit, daran etwas zu ändern.
Chloe schnippte mit den Fingern vor seinem Gesicht, und erst da wurde
Matt bewusst, dass er sie angestarrt hatte. »Alles okay mit dir, Kumpel?«,
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fragte sie, und eine kleine Falte trat zwischen ihre Brauen. Matt musste
sich beherrschen, um sie nicht auf diese Stelle zu küssen.
»Ja, alles okay, hab mich nur gerade ausgeklinkt«, antwortete er und
spürte, dass er rot wurde – und wie ein Idiot grinste. »Willst du mir bei
diesen Wänden hier helfen?«
»Klar, warum nicht?«, erwiderte Chloe. »Ich werde die Wand einseifen
und du machst mit dieser niedlichen kleinen Zahnbürste weiter.«
Eine Zeitlang arbeiteten sie freundschaftlich nebeneinander und Chloe
ließ manchmal wie zufällig etwas Seifenwasser auf Matts Kopf tropfen.
Während sie sich an der Vertäfelung entlangarbeiteten, wurde die
Lücke zwischen Wand und Boden immer tiefer. Matt schob die Zahnbür-
ste mit schrubbenden Bewegungen in den Spalt – Mann, war das da un-
ten schmutzig! – und spürte, dass sich etwas verschob.
»Hier drunter ist etwas«, sagte er zu Chloe, presste die Hand flach auf
den Boden und quetschte die Finger in den Spalt. Er ließ die Hand umh-
erwandern und versuchte, das gerade zu rücken, was auch immer dort un-
ten war, aber er bekam es nicht richtig zu fassen.
»Sieh mal«, sagte Chloe nach einem
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