Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
zurück. »Wovon redest du?«
Damon klickte mit der Maus und zoomte diesmal das Notizbuch auf
dem Schoß ihrer Mutter heran. Ihre Hände – hübsche Hände, bemerkte
Elena, hübscher als ihre eigenen, deren kleine Finger leicht gekrümmt
waren – lagen offen auf dem Buch, aber zwischen den Fingern konnte
Elena entziffern: Vit l Soci y.
»Das könnte das V bedeuten«, meinte Damon achselzuckend. »Es kön-
nte natürlich auch etwas ganz anderes heißen. Vital Socially vielleicht?
Stand deine Mutter auch immer im Mittelpunkt wie du?«
Elena ignorierte die Frage. »Vitale Society«, sagte sie langsam. »Ich
dachte immer, das sei ein Mythos.«
»Lassen Sie die Vitale Society in Ruhe«, zischte es hinter ihnen, und
Elena schnellte herum.
Trotz ihrer Tennisschuhe und ihres pastellfarbenen Twinsets wirkte die
Bibliothekarin merkwürdig einschüchternd, wie sie von den Bücherrega-
len umrahmt dastand. Ihr habichtartiges Gesicht war voller Anspannung
und auf Elena konzentriert. Ihre hochgewachsene Gestalt wirkte
bedrohlich.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Elena. »Was wissen Sie darüber?«
Seltsamerweise schien die eben noch so beängstigend wirkende Frau
unter dieser direkten Frage zusammenzuschrumpfen. »Ich weiß gar
nichts«, murmelte sie stirnrunzelnd, eine ganz gewöhnliche, leicht zit-
ternde alte Dame. »Ich kann nur sagen, dass es gefährlich ist, sich mit den
Society-Mitgliedern anzulegen. Seltsame Dinge geschehen in ihrer Nähe.
Selbst wenn Sie vorsichtig sind.« Und damit begann sie, den vor ihr
stehenden Bücherkarren wegzuschieben.
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»Warten Sie!«, rief Elena und stand auf. »Was für Dinge?« Worin war-
en ihre Eltern verstrickt gewesen? Sie hätten bestimmt nichts Unrechtes
getan, oder? Nicht Elenas Eltern. Aber die Bibliothekarin ging nur noch
schneller, und die Räder ihres Karrens quietschten, als sie um die Ecke in
einen anderen Gang einbog.
Damon stieß ein leises Lachen aus. »Sie wird dir nichts erzählen«, sagte
er, und Elena starrte ihn wütend an. »Sie weiß nichts, oder sie hat zu
große Angst, das zu erzählen, was sie weiß.«
»Das ist nicht gerade hilfreich, Damon«, gab Elena gepresst zurück. Sie
drückte die Finger auf die Schläfen. »Was machen wir jetzt?«
»Nachforschungen über die Vitale Society anstellen«, entgegnete Da-
mon trocken. Elena wollte schon Einwände erheben, aber Damon brachte
sie zum Schweigen, indem er mit einem Finger über ihre Lippen strich.
Seine Berührung war so sanft, und sie hob zögerlich eine Hand, um seine
Finger mit ihren zu berühren. »Mach dir keine Sorgen darüber, was eine
dumme alte Frau schwätzt«, riet er ihr. »Aber wenn wir wirklich etwas
über diese mysteriöse Gesellschaft in Erfahrung bringen wollen, müssen
wir wahrscheinlich an einem anderen Ort suchen als der Bibliothek.«
Er stand auf und streckte ihr die Hand hin. »Wollen wir?« Elena nickte
und ergriff sie. Wenn es darum ging, Geheimnisse auszugraben und zu
entschlüsseln, konnte sie sich auf Damon verlassen.
»Geh ran, Zander«, murmelte Bonnie ins Telefon.
Das Klingeln hörte auf, und eine mechanische Stimme informierte sie,
dass sie auf der Mailbox eine Nachricht hinterlassen könne. Bonnie legte
auf. Sie hatte bereits zwei Mitteilungen auf die Mailbox gesprochen, und
Zander sollte nicht denken, dass sie völlig verrückt oder unbedarft war.
Aber das würde er sowieso tun, wenn er die Liste seiner entgangenen An-
rufe sah.
Bonnie war sich ziemlich sicher, dass sie gerade die fünf Phasen einer
Trennung durchmachte. Mit dem Leugnen, als sie sich vorgemacht hatte,
ihm sei etwas zugestoßen, war sie inzwischen fast fertig, und nun näherte
sie sich mit großen Schritten der Phase der Wut. Später, das wusste sie,
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würden noch das Verhandeln, die Depression und schließlich die
Akzeptanz kommen.
Offensichtlich zeigte ihr Psychologiekurs bereits Wirkung.
Es waren Tage vergangen, seit er so abrupt davongerannt war und sie
mutterseelenallein vor der Musikfakultät zurückgelassen hatte. Als sie
hörte, dass in derselben Nacht ein Mädchen verschwunden war, war Bon-
nie zuerst wütend gewesen und hatte Angst um sich selbst gehabt. Zander
hatte sie allein gelassen. Was, wenn Bonnie diejenige gewesen wäre,
welche …? Dann begann sie sich um Zander zu sorgen, sie fürchtete, dass
er in Schwierigkeiten steckte. Er war so süß und schien ziemlich auf sie zu
stehen, sodass sie keinen Grund sah, warum er
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