Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
Sommerabend küssen würde.
Wir waren so glücklich. Und alles war so normal, worauf ich gar nicht
mehr zu hoffen gewagt hatte.
Ich schätze, genau das ist es, was mir Angst macht. Ich habe Angst,
dass diese Wochen nur ein golden leuchtendes Zwischenspiel gewesen
sein könnten und dass sich jetzt alles wieder ändert und die Dunkelheit
und das Grauen zurückkehren. Es ist wie in diesem Gedicht, das wir let-
zten Herbst im Englischkurs gelesen haben: Kein Gold glänzt ewig. Nicht
für mich .
Selbst Damon …
Elena Gilbert hörte Schritte unten im Flur und ihr Stift verharrte über
dem Papier. Ihr Blick fiel auf die Umzugskartons um sie herum. Das da
unten mussten Stefano und Damon sein, um noch die letzten Kartons aus
ihrem Zimmer zu holen.
Also musste sie sich beeilen, um ihren Tagebucheintrag zu Ende zu
bringen – um die Sorge in Worte zu fassen, die bereits während dieser un-
beschwerten Sommerwochen an ihr genagt hatte. Eilig schrieb sie weiter.
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Damon hat sich verändert. Seit wir das Eifersuchtsphantom besiegt
haben, ist er … freundlicher. Nicht nur zu mir, nicht nur zu Bonnie, für
die er schon immer eine Schwäche hatte, sondern sogar zu Matt und
Meredith. Er kann immer noch furchtbar gereizt und unberechenbar
sein – sonst wäre er nicht er selbst –, aber ihm fehlt diese Grausamkeit,
die früher typisch für ihn war.
Auch mit Stefano kommt er anscheinend besser klar. Die beiden wis-
sen, dass ich sie beide liebe, aber sie lassen keine Eifersucht mehr zu. Sie
stehen sich nah und gehen auf eine Weise miteinander um, die ich noch
nie zuvor bei ihnen erlebt habe – wie echte Brüder eben. Wir drei befind-
en uns im Einklang miteinander, in einem fragilen Gleichgewicht, das
bis zum Ende dieses Sommers gehalten hat. Aber ich mache mir Sorgen,
dass jeder falsche Schritt von mir dieses Gleichgewicht zerstören könnte
und ich die Brüder – ebenso wie Catarina, ihre erste Liebe – wieder
entzweie. Und dann werden wir Damon für immer verlieren.
»Elena!«, rief Tante Judith ungeduldig herauf.
»Ich komme!«, rief Elena zurück, während sie hastig noch ein paar
Sätze in ihr Tagebuch kritzelte.
Aber vielleicht wird dieses neue Leben auch ganz wunderbar werden. Vi-
elleicht werde ich alles finden, wonach ich gesucht habe. Ich kann mich
nicht ewig an die Highschool klammern oder an mein Leben hier zu
Hause. Und wer weiß? Vielleicht glänzt das Gold diesmal doch ewig. Für
mich.
»Elena ! Deine Chauffeure warten !«
Jetzt klang Tante Judith deutlich gestresst. Am liebsten hätte sie Elena
selbst zum College gebracht. Aber Elena wusste, wie tränenreich dieser
Abschied werden würde, und hatte daher Stefano und Damon gebeten, sie
zu fahren. Schließlich war es weniger peinlich, zu Hause ihren Gefühlen
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freien Lauf zu lassen als auf dem Campus von Dalcrest. Allerdings regte
sich Tante Judith seitdem über jede Kleinigkeit auf. Wahrscheinlich be-
fürchtete sie, dass Elenas College-Karriere ohne ihre Kontrolle gar nicht
perfekt starten konnte. Doch Elena wusste, dass das nur ein Zeichen dafür
war, wie sehr Tante Judith sie liebte.
Seufzend schlug Elena das in Samt gebundene Tagebuch zu und warf es
in einen noch offenen Karton. Dann ging sie zur Tür. Den Knauf in der
Hand warf sie noch einen letzten Blick zurück.
Ihr Zimmer war jetzt furchtbar leer. Die Möbel standen zwar noch alle
da, aber an den Wänden fehlten ihre Lieblingsposter und die Hälfte der
Bücher waren aus ihrem Regal verschwunden. Ohne diese vertrauten
Sachen wirkte der Raum fast wie ein unpersönliches Hotelzimmer und
nicht wie die behagliche Zuflucht ihrer Kindheit.
So vieles war hier geschehen. Elena erinnerte sich daran, dass sie sich
als kleines Mädchen mit ihrem Vater auf den Fenstersims gekuschelt
hatte, um mit ihm zusammen zu lesen. Sie, Bonnie und Meredith – und
Caroline, damals, als sie noch eine gute Freundin gewesen war – hatten
mindestens hundert Nächte hier verbracht, Geheimnisse ausgetauscht,
für die Highschool gebüffelt, sich für Bälle gestylt oder einfach herumge-
hangen. Stefano hatte sie hier frühmorgens geküsst und war schnell
wieder verschwunden, wenn Tante Judith kam, um sie zu wecken. Elena
erinnerte sich an Damons grausam triumphierendes Lächeln, als sie ihn
zum ersten Mal eingeladen hatte. Es kam ihr vor, als sei das eine Million
Jahre her. Und dann, vor ein paar Wochen erst, ihre unbändige Freude,
als er in einer dunklen
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