Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
so weit?«
»Du siehst wirklich umwerfend aus«, fand Elena und sah Bonnie
liebevoll an. Ihre Freundin strahlte förmlich vor Aufregung und Glück –
ihre Augen funkelten, ihre Wangen waren gerötet, ihre rote Lockenmähne
schien unbezähmbar zu sein und ihr kurzes blaues Kleid samt den hoch-
hackigen Schuhen war einfach entzückend. Bonnies Lächeln wurde
breiter.
»Lasst uns gehen«, sagte Meredith sachlich. Sie war schick und
zugleich praktisch gekleidet in Jeans und einer weichen figurbetonten
grauen Bluse, die gut zu ihren Augen passte. Es war schwer zu sagen, was
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Meredith dachte, aber Elena hatte sie spät am Abend leise mit Alaric tele-
fonieren hören. Sie vermutete, dass Meredith vielleicht nicht mit ganzem
Herzen bei der Party sein würde.
Als sie draußen waren, fiel Elena auf, dass die Studenten ausnahmslos
in großen Gruppen unterwegs waren und sich schweigend immer wieder
nervös umblickten. Niemand verweilte irgendwo, niemand war allein.
Mitten im Gehen hielt Meredith abrupt inne und versteifte sich, als
spüre sie eine plötzliche Bedrohung. Elena folgte ihrem Blick und sah,
dass sie sich geirrt hatte: Eine Person war doch allein. Damon saß auf ein-
er Bank vor ihrem Wohnheim, das Gesicht gen Himmel gereckt, als
genösse er die Sonne statt der Dunkelheit des Abends.
»Was willst du, Damon?«, fragte Meredith misstrauisch. Ihre Stimme
war nicht direkt unfreundlich – dieses Stadium hatten die beiden
während ihrer Zusammenarbeit im Sommer überwunden –, aber auch
nicht direkt freundlich, und Elena konnte spüren, dass Meredith gleich
ihre Krallen ausfahren würde.
»Elena natürlich«, antwortete Damon langsam, stand auf und ergriff
sanft Elenas Arm.
Bonnie schaute verwirrt zwischen ihnen hin und her. »Ich dachte, du
wolltest für eine Weile von beiden deine Ruhe«, sagte sie zu Elena.
Damon beugte sich näher zu Elena heran. »Es geht um die Vitale Soci-
ety. Ich habe eine Spur«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Elena zögerte. Sie hatte ihren Freundinnen nichts von den Hinweisen
über die Vitale Society erzählt, auf die sie und Damon gestoßen waren.
Und dass dieser Geheimbund vielleicht mehr war als ein Mythos, oder
dass es vielleicht sogar irgendeinen Zusammenhang mit ihren Eltern gab.
Sie hatten noch nichts wirklich Handfestes entdeckt, und Elena war noch
nicht bereit, darüber zu reden, dass ihre Eltern möglicherweise in ein
dunkles Geheimnis verstrickt gewesen waren. Oder darüber, wie sie sich
fühlte, wenn sie die Bilder von ihnen als junge Studenten betrachtete.
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Sie fasste einen Entschluss und drehte sich zu Bonnie und Meredith
um. »Ich muss kurz mit Damon sprechen. Es ist wichtig. Ich werde es
euch später erklären. Wir sehen uns gleich bei der Party.«
Meredith runzelte die Stirn, nickte jedoch und lenkte Bonnie in Rich-
tung McAllister House. Als sie gingen, konnte Elena Bonnie sagen hören:
»Aber war der Sinn der Übung nicht eigentlich …«
Damon, der immer noch Elenas Arm hielt, führte sie in die entgegenge-
setzte Richtung. »Wohin gehen wir?«, fragte sie und spürte Damons
weiche Haut und seinen starken Griff.
»Ich habe ein Mädchen mit diesem Abzeichen gesehen«, antwortete
Damon. »Ich bin ihm in die Bibliothek gefolgt, aber sobald es drin war, ist
es einfach verschwunden. Ich habe überall nach ihm gesucht. Eine Stunde
später tauchte es dann plötzlich wieder in der Bibliothekstür auf und kam
heraus. Erinnerst du dich, dass ich gesagt habe, wir müssten an einem an-
deren Ort als der Bibliothek nach Antworten suchen?« Er lächelte. »Ich
habe mich geirrt. Irgendetwas geht da vor.«
»Vielleicht hast du das Mädchen einfach übersehen?«, überlegte Elena
laut. »Die Bibliothek ist ziemlich groß, es könnte sich vielleicht in ir-
gendeine abgeschiedene Ecke gesetzt haben.«
»Ich hätte es gefunden«, entgegnete Damon knapp. »Ich bin gut darin,
Leute zu finden.« Für einen Moment leuchteten seine Zähne im Schein
der Straßenlaterne weiß auf.
Das Problem war, dass Elena die Bibliothek viel zu normal erschien.
Sobald sie drin waren, betrachtete Elena die mit grauem Teppich aus-
gelegten Böden, die beigefarbenen Sessel, die zahlreichen Bücherregale,
die summenden Leuchtstoffröhren. Ein Ort, um zu lernen, nicht um ir-
gendwelche Geheimnisse zu verbergen.
»Oben?«, schlug sie vor.
Sie nahmen die Treppe anstelle des Aufzugs und arbeiteten sich vom
obersten Stockwerk nach unten.
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