Tagebuch (German Edition)
Glück würde sie nicht gehen, Mutter hatte es selbst gesagt. Und vermutlich hatte auch Vater das gemeint, als er mit mir über Verstecken gesprochen hatte.
Verstecken! Wo sollten wir uns verstecken? In der Stadt? Auf dem Land? In einem Haus, in einer Hütte? Wann? Wie? Wo? Das waren Fragen, die ich nicht stellen konnte und die mich doch nicht losließen.
Margot und ich fingen an, das Nötigste in unsere Schultaschen zu packen. Das Erste, was ich hineintat, war dieses gebundene Heft, danach Lockenwickler, Taschentücher, Schulbücher, einen Kamm, alte Briefe. Ich dachte ans Untertauchen und stopfte deshalb die unsinnigsten Sachen in die Tasche. Aber es tut mir nicht Leid, ich mache mir mehr aus Erinnerungen als aus Kleidern.
Um fünf Uhr kam Vater endlich nach Hause. Wir riefen Herrn Kleiman an und fragten, ob er noch an diesem Abend kommen könnte. Van Daan ging weg und holte Miep. Sie kam, packte einige Schuhe, Kleider, Mäntel, Unterwäsche und Strümpfe in eine Tasche und versprach, abends noch einmal zu kommen. Danach war es still in unserer Wohnung. Keiner von uns vieren wollte essen. Es war noch warm, und alles war sehr sonderbar.
Das große Zimmer oben war an Herrn Goldschmidt vermietet, einen geschiedenen Mann in den Dreißigern. Anscheinend hatte er an diesem Abend nichts vor, er hing bis zehn Uhr bei uns rum und war nicht wegzukriegen.
Um elf Uhr kamen Miep und Jan Gies. Miep ist seit 1933 bei Vater im Geschäft und eine gute Freundin geworden, ebenso ihr frisch gebackener Ehemann Jan. Wieder verschwanden Schuhe, Hosen, Bücher und Unterwäsche in Mieps Beutel und Jans tiefen Taschen. Um halb zwölf waren sie wieder gegangen.
Ich war todmüde, und obwohl ich wusste, dass es die letzte Nacht in meinem eigenen Bett sein würde, schlief ich sofort ein und wurde am nächsten Morgen um halb sechs von Mutter geweckt. Glücklicherweise war es nicht mehr so heiß wie am Sonntag; den ganzen Tag fiel ein warmer Regen. Wir zogen uns alle vier so dick an, als müssten wir in einem Eisschrank übernachten, und das nur, um noch ein paar Kleidungsstücke mehr mitzunehmen. Kein Jude in unserer Lage hätte gewagt, mit einem Koffer voller Kleider aus dem Haus zu gehen. Ich hatte zwei Hemden, drei Hosen, zwei Paar Strümpfe und ein Kleid an, darüber Rock, Mantel, Sommermantel, feste Schuhe, Mütze, Schal und noch viel mehr. Ich erstickte zu Hause schon fast, aber danach fragte niemand.
Margot stopfte ihre Schultasche voll mit Schulbüchern, holte ihr Rad und fuhr hinter Miep her in eine mir unbekannte Ferne. Ich wusste nämlich noch immer nicht, wo der geheimnisvolle Ort war, zu dem wir gehen würden.
Um halb acht schlossen auch wir die Tür hinter uns. Die Einzige, von der ich Abschied nehmen musste, war Moortje, meine kleine Katze, die ein gutes Heim bei den Nachbarn bekommen sollte, wie auf einem Briefchen an Herrn Goldschmidt stand.
Die aufgedeckten Betten, das Frühstückszeug auf dem Tisch, ein Pfund Fleisch für die Katze in der Küche, das alles erweckte den Eindruck, als wären wir Hals über Kopf weggegangen. Eindrücke konnten uns egal sein. Weg wollten wir, nur weg und sicher ankommen, sonst nichts.
Morgen mehr.
Deine Anne
Donnerstag, 9. Juli 1942
Liebe Kitty!
So gingen wir dann im strömenden Regen, Vater, Mutter und ich, jeder mit einer Schul- und Einkaufstasche, bis obenhin voll gestopft mit den unterschiedlichsten Sachen. Die Arbeiter, die früh zu ihrer Arbeit gingen, schauten uns mitleidig nach. In ihren Gesichtern war deutlich das Bedauern zu lesen, dass sie uns keinerlei Fahrzeug anbieten konnten. Der auffallende gelbe Stern sprach für sich selbst.
Erst als wir auf der Straße waren, erzählten Vater und Mutter mir stückchenweise den ganzen Versteckplan. Schon monatelang hatten wir so viel Hausrat und Leibwäsche wie möglich aus dem Haus geschafft, und nun waren wir gerade so weit, dass wir am 16. Juli freiwillig untertauchen wollten. Durch diesen Aufruf war der Plan um zehn Tage vorverlegt, sodass wir uns mit weniger gut geordneten Räumen zufrieden geben mussten.
Das Versteck war in Vaters Bürogebäude. Für Außenstehende ist das ein bisschen schwer zu begreifen, darum werde ich es näher erklären. Vater hatte nicht viel Personal, Herrn Kugler, Herrn Kleiman und Miep, dann noch Bep Voskuijl, die 23-jährige Stenotypistin, die alle über unser Kommen informiert waren. Im Lager waren Herr Voskuijl, Beps Vater, und zwei Arbeiter, denen hatten wir nichts gesagt.
Das Gebäude
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